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Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages

Titel: Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Schiffbruch war ihm das Element als eisig und gewalttätig in Erinnerung, und die Entdeckung eines lauwarmen Meeres ermutigte ihn, das Eintauchen vorsichtig fortzusetzen, immer an die Leiter geklammert, bis ihm das Wasser bis zum Kinn ging. Im Glauben, dies sei Schwimmen, hatte er sich dann hin und her bewegt und dabei an die Pariser Kommoditäten gedacht.
    Seit er auf das Schiff gelangt war, hatte er, wie wir sahen, zwar ab und zu eine Waschung vorgenommen, aber stets nur wie eine Katze, die sich das Fell leckt und sich auf die Pflege des Kopfes und der Scham beschränkt. Im übrigen – und im selben Maße, wie er auf der Jagd nach dem Eindringling immer mehr vertierte – hatten sich seine Füße mit dem Schmodder des Kielraums beschmiert und seine Kleider mit seinem Schweiß durchtränkt. Jetzt, im Kontakt mit dem lauwarmen Wasser, das ihm zugleich den Leib und die Kleider wusch, erinnerte sich Roberto daran, wie er einmal im Hôtel de Rambouillet zwei ganze Waschzuber entdeckt hatte, die der Marquise zur Verfügung standen, deren Sorge um die Pflege des Körpers ein Gesprächsthema war in einer Gesellschaft, in der man sich nicht gerade häufig zu waschen pflegte. Auch die Feinsten unter ihren Gästen waren der Ansicht, dass Sauberkeit sich in der Frische der Wäsche manifestierte, die häufig zu wechseln ein Merkmal der Eleganz war, nicht im Gebrauch von Wasser. Und die vielen wohlriechenden Essenzen, mit denen die Marquise sich umgab, waren kein Luxus, sondern – für sie – eine Notwendigkeit, um eine Barriere zwischen ihrer Nase und den Körpergerüchen ihrer Gäste zu haben.
    Sich feiner vorkommend als in Paris, nahm Roberto eine Hand von der Leiter, rieb sich Hemd und Hose an seinem verschwitzten Leib und kratzte sich mit den Zehen des einen Fußes die Ferse des anderen.
    Pater Caspar sah ihm neugierig zu, sagte jedoch nichts, da er wollte, dass Roberto sich mit dem Meer anfreundete. Da erzugleich aber fürchtete, dass Roberto sich in eine zu große Sorge um den eigenen Körper verlieren könnte, versuchte er ihn abzulenken. Und so begann er, von den Gezeiten und von der Anziehungskraft des Mondes zu sprechen.
    Er wollte ihm die Außergewöhnlichkeit eines Ereignisses klarmachen, das etwas geradezu Unglaubliches an sich hatte: Dass die Gezeiten auf den Appell des Mondes antworteten, dürfte eigentlich nur geschehen, wenn der Mond zu sehen sei, und nicht, wenn er über der anderen Seite unseres Planeten stehe. Tatsächlich aber setzten sich Ebbe und Flut ohne Unterbrechung auf beiden Seiten der Erdkugel fort, indem sie einander sozusagen im Sechs-Stunden-Rhythmus verfolgten. Roberto lauschte den Ausführungen über die Gezeiten und dachte dabei an den Mond – an den er in all jenen Nächten viel mehr gedacht hatte als an die Gezeiten.
    Er fragte den Pater, wie es eigentlich komme, dass wir vom Mond immer nur eine Seite sehen, und der Pater erklärte ihm, dass der Mond die Erde umkreise wie ein Ball, den ein Athlet an einer Leine um sich rotieren lasse, wobei er ja auch immer nur die ihm zugewandte Seite sehen könne.
    »Aber«, forderte ihn Roberto heraus, »diese Seite sehen sowohl die Indianer wie auch die Spanier. Für die Bewohner des Mondes dagegen verhält es sich anders mit ihrem Mond, den sie Volva, ›Die Drehende‹, nennen und der ja dann unsere Erde ist. Die ›Subvolvaner‹, die auf der uns zugewandten Seite leben, sehen sie immer, während die ›Privolvaner‹, die auf der anderen Seite leben, sie überhaupt nicht kennen. Stellt Euch vor, wenn sie auf diese Seite herüberkommen: Wer weiß, was sie empfinden, wenn sie in der Nacht einen so großen Kreis am Himmel glänzen sehen, fünfzehnmal größer als unser Mond! Sie werden denken, er müsste ihnen jeden Moment auf den Kopf fallen, so wie die alten Griechen immer fürchteten, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fiele! Nicht zu reden von denen, die genau auf der Grenze zwischen den beiden Hemisphären leben und Volva immer halb überm Horizont stehen sehen!«
    Pater Caspar erging sich spöttisch und abfällig über das Märchen von den Mondbewohnern: Die Himmelskörper seien nicht von der gleichen Beschaffenheit wie unsere Erde und darum nicht geeignet, lebende Kreaturen zubeherbergen, es sei besser, sie den himmlischen Heerscharen zu überlassen, die sich spirituell durch den Kristall der Himmel bewegten.
    »Aber wie können die Himmel denn aus Kristall sein? Wenn sie es wären, müssten die Kometen sie doch beim Durchfliegen

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