Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages
dass er um nichts in der Welt noch einmal ins Wasser gehen werde. Worauf ihm Pater Caspar zu bedenken gegeben hatte, dass er doch gerade während jenes Schiffbruchs vom Wasser getragen worden sei, woran man sehen könne, dass es ein freundliches Element sei und kein feindliches. Roberto hatte erwidert, das Wasser habe ja nicht ihn getragen, sondern das Holz, an das er sich gebunden hatte, und da hatte Pater Caspar leichtes Spiel, ihn darauf hinzuweisen, dass das Wasser, wenn es ein Stück Holz getragen hatte, also eine unbeseelte Kreatur, die sich nach dem Absturz sehne, wie jeder wisse, der einmal ein Stück Holz von einer Höhe hinabgeworfen habe, dann doch umso eher geeignet sei, ein lebendes Wesen zu tragen, das sich dem natürlichen Streben der Flüssigkeiten anzupassen verstehe. Roberto müsse doch wissen, dass, wenn er je ein Hündchen ins Wasser geworfen hätte, das Tier durch Strampeln mit den Beinen nicht nur imstande gewesen wäre, sich über Wasser zu halten, sondern auch rasch ans Ufer zurückzukehren. Und – fügte der Pater hinzu – Roberto wisse vielleicht nicht, dass auch wenige Monate alte Säuglinge, wenn man sie ins Wasser tauche, schwimmen könnten, denn die Natur habe sie wie jedes andere Tier schwimmfähig gemacht. Unglücklicherweise seien jedoch wir Menschen mehr als die Tiere dem Vorurteil und dem Irrtum zugeneigt, und daher erwürben wir uns, wenn wir älter würden, falsche Vorstellungen von den Kräften der Flüssigkeiten, so dass wir aus Angst und Vertrauensmangel jene angeborene Gabe verlören.
Daraufhin fragte Roberto, ob denn er, der hochwürdige Pater, schwimmen gelernt habe, und der hochwürdige Pater antwortete, er habe ja nicht behauptet, dass er besser sei als so viele andere, die es vermieden hatten, gute Dinge zu tun. Er sei an einem Ort weitab vom Meer geboren worden und habeden Fuß erst in vorgerücktem Alter auf ein Schiff gesetzt, als sein Leib nur noch sei gewesen – so sagte er – eine Versteifung des Nackens, eine Trübung der Augen, ein Triefen der Nase, ein Verstöpseln der Ohren, ein Vergilben der Zähne, ein Erstarren des Rückens, ein Verkollern der Gurgel, Vergichten der Fersen, Verschrumpeln der Haut, Verblassen der Haare, Verwittern der Schienbeine, Zittern der Finger und Stolpern der Füße und seine Brust ein einziges Räuspern und Husten mit Schleimauswurf und Gesabber am Kinn.
Da aber sein Geist, wie er sogleich präzisierte, noch sehr viel agiler sei als sein Korpus, wisse er, was schon die Weisen im alten Griechenland wussten, nämlich dass ein Körper, wenn man ihn in eine Flüssigkeit tauche, von dieser Flüssigkeit getragen werde und einen Druck nach oben verspüre, das heißt einen Auftrieb, der dem von ihm verdrängten Wasser entspreche, denn das Wasser strebe immer danach, zurückzukehren und den Raum, aus dem es verdrängt worden sei, wieder einzunehmen. Und es stimme auch nicht, dass der Körper nur dann schwimmen könne, wenn er die richtige Form habe, in diesem Punkt hätten die Alten sich geirrt, als sie meinten, nur eine flache Form bleibe oben und eine spitze versinke; wenn Roberto zum Beispiel versuchen würde, eine Flasche (die ja nicht flach ist) ins Wasser hinunterzudrücken, so würde er genauso viel Widerstand verspüren, wie wenn er eine Schüssel hineinzudrücken versuchte.
Es gelte also, sich mit dem Element vertraut zu machen, und dann werde alles ganz wie von selbst gehen. Am besten, Roberto lasse sich an der Strickleiter hinunter, die vorn am Bug neben der Ankerkette hänge und auch Jakobsleiter genannt werde, aber gesichert mit einem langen und starken Seil, das an der Bordwand befestigt sei. So dass er, wenn er unterzugehen fürchte, nur an dem Seil zu ziehen brauche.
Müßig zu sagen, dass dieser Lehrmeister einer Kunst, die er nie praktiziert hatte, eine Unzahl von Begleitumständen nicht mitbedacht hatte, die auch von den alten Griechen vernachlässigt worden waren. So hatte er zum Beispiel, um seinem Schüler Bewegungsfreiheit zu lassen, ein ziemlich langes Seil ausgesucht, weshalb Roberto, als er beim ersten Versuch wie jeder Anfänger unterging, erst einmal vergeblich zog und, bis er dann endlich wieder auftauchte, schon so vielSalzwasser geschluckt hatte, dass er für diesen ersten Tag auf jeden weiteren Versuch verzichten wollte.
Der Anfang war jedoch ermutigend gewesen. Kaum war Roberto die Leiter hinuntergestiegen und hatte den großen Zeh ins Wasser getaucht, hatte er das Nass als angenehm empfunden. Vom
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