Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages
man angesichts einer gebratenen Wachtel sagte, das Feuer habe sich um sie drehen müssen ...«
»Ach ja? Also wann der Bischoff umb die Kirche gehet, sie zu weihen mit dem Turibulo, würdest du wollen, daß die Kirche umb den Herrn Bischoff herumb gienge? Die Sonne kann sich bewegen, weil sie aus Feuer ist. Und du weißt sehr wol, daß das Feuer flieget und sich beweget und niemals stille steht. Hast du jemahls gesehn, daß die Berge sich bewegen? Also wie soll dann die Erde sich bewegen?«
»Die Strahlen der Sonne, die auf sie treffen, setzen sie in Bewegung und drehen sie, so wie man einen Ball in Bewegung setzen und drehen kann, wenn man ihn mit der Hand berührt, und wenn der Ball klein ist, kann man ihn sogar mit einem Lufthauch bewegen ... Und schließlich, würdet Ihr wollen, dass Gott die Sonne über den Himmel laufen lässt, die ja immerhin vierhundertvierunddreißigmal größer ist als die Erde, bloß um unseren Kohl reifen zu lassen?«
Um diesem letzten Argument größtmöglichen Nachdruck zu geben, wollte Roberto mit dem Finger auf Pater Caspar zeigen, wozu er den Arm ausstreckte und mit den Füßen einen Schlag vollführte, um sich in eine bessere Lage etwas weiter weg von der Schiffswand zu bringen. Dabei ließ er unwillkürlich auch mit der anderen Hand die Leiter los, sein Kopf fiel nach hinten, und er ging unter, ohne dass es ihm, wie schon gesagt, gleich gelang, sich mit dem viel zu locker gespannten Seil wieder nach oben zu ziehen. Er verhielt sich genauso wie alle, die dann gewöhnlich ertrinken: Er zappelte panisch umher und schluckte noch mehr Wasser, bis Pater Caspar das Seil endlich wieder gestrafft und ihn zur Leiterzurückgezogen hatte. Japsend und keuchend kletterte er hinauf und schwor, nie wieder da runterzugehen.
»Morgen versuchst dus auffs neue. Das Saltzwasser ist wie eine Medicin, du mußt nit meinen, es sey ein schlimmes Übel«, tröstete ihn Pater Caspar. Und während sich Roberto langsam wieder beruhigte und sich angelnd mit dem Meer versöhnte, erklärte ihm der Pater, wie vorteilhaft es für sie beide wäre, wenn er die Insel erreichen würde. Er brauche nur an die Wiedergewinnung des Bootes zu denken, mit dem sie sich frei vom Schiff zum Land bewegen könnten und Zugang zur Specula Melitensis hätten.
Aus der Art, wie Roberto über die Specula spricht, muss man schließen, dass diese Erfindung des Paters seinen Verstand überstieg – oder dass Pater Caspar über sie, wie über manches andere auch, immer nur in Andeutungen sprach, die bald ihre Form, bald ihre Funktion und bald die ihr zugrunde liegende Idee betrafen.
Die Idee sei gar nicht von ihm gewesen, hatte der Pater gesagt. Von der Specula habe er aus den Papieren eines verstorbenen Mitbruders erfahren, der seinerseits durch einen anderen Mitbruder von ihr gehört habe, der während einer Reise auf die hochedle Insel Malta, auch Melita genannt, dieses Instrument habe rühmen hören, das konstruiert worden sei auf Befehl des Erlauchtigsten Fürsten Johannes Paulus Lascaris, Großmeister des berühmten, dort ansässigen Ritterordens.
Wie die Specula aussah, habe keiner nie nit gesehen: Von jenem ersten Mitbruder sei nur ein Heft mit Skizzen und Notizen geblieben, das aber mittlerweile auch schon verschollen sei. Und obendrein, klagte Pater Caspar, sei dieses Opusculum sehr knapp abgefasst gewesen, »brevissime conscriptum, mit keinerley Schema visualiter auffbereytet, keine Tabula oder Rotula und keine Instructio apposita«.
Anhand dieser kargen Notizen habe er dann während der langen Reise der Daphne die verschiedenen Elemente der Apparatur, so gut er konnte, rekonstruiert, sie von den Schiffszimmerleuten nachbauen lassen, sie dann auf der Insel zusammengesetzt und schließlich in loco ihre zahllosen Tugenden ermessen – und die Specula musste tatsächlich eine Ars Magna in Fleisch und Blut gewesen sein, soll heißen inHolz, Eisen, Leinwand und anderen Materialien, eine Art Mega-Horologium, ein Liber Animatum oder Beseeltes Buch, das alle Geheimnisse des Universums aufzunehmen vermochte.
Die Specula sei – schwärmte Pater Caspar, während seine Augen wie Karbunkel glühten – ein Einziges Syntagma Neuester Physikalischer und Mathematischer Instrumente »mit kunstvoll disponirten Rädern und Kreysen«. Dann zeichnete er mit dem Finger einen Kreis aufs Deck oder in die Luft und sagte, Roberto solle an einen ersten runden Teil denken, der die Basis oder Grundlage darstelle, die den Immobilen Horizont anzeige
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