Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages
es zu gefährlich sein würde, die Insel schwimmend erreichen zu wollen. Er musste sich ein Floß bauen. Er inspizierte das Holzlager, das die Daphne darstellte, und machte sich bewusst, dass er nichts hatte, womit er ihm auch nur das kleinste Stämmchen entnehmen konnte, es sei denn, er wollte Jahre damit verbringen, einen Mast mit dem Messer abzusägen.
Aber war er nicht auf einem Türblatt zur Daphne gelangt? Nun, dann musste er eben eine Tür aus den Angeln heben und sie als Vehikel benutzen, indem er sich darauflegte und mit den Händen ruderte. Mit dem Knauf des Schwertes als Hammer und der Klinge als Hebel gelang es ihm schließlich, eine der Türen des Achterkastells aus den Angeln zu heben. Dabei war zwar am Ende die Klinge zerbrochen, aber das machtenichts, er musste ja nicht mehr mit menschlichen Wesen kämpfen, sondern mit dem Meer.
Doch wenn er auf dem Türblatt im Meer schwamm, wohin würde ihn dann die Strömung treiben? Er schleppte die Tür an die rechte Bordwand und warf sie ins Meer.
Die Tür schwamm zuerst träge auf dem Wasser, aber nach weniger als einer Minute hatte sie sich schon von der Bordwand entfernt und trieb zuerst unter dem Bugspriet hindurch auf die linke Seite des Schiffes, mehr oder weniger in derselben Richtung, wie er gepaddelt war, und dann nach Nordosten. Je weiter sie sich vom Bug entfernte, desto schneller wurde sie, bis sie nach einer Weile – etwa auf der Höhe des nördlichen Kaps der Insel – rasch nach Norden einschwenkte.
Die Tür schwamm jetzt so, wie die Daphne es täte, wenn er den Anker einholen würde. Er konnte sie mit bloßem Auge verfolgen, bis sie am Kap vorbei war, dann musste er das Fernrohr holen, durch das er sie noch bis weit jenseits des Kaps mit hoher Geschwindigkeit davonziehen sah. Die Tür trieb also in einer starken Strömung, die wie ein breiter Fluss mit Ufern und Böschungen mitten durch ein sonst ruhiges Meer floss.
Roberto überlegte: Wenn der hundertachtzigste Meridian auf einer gedachten Linie durch die Bucht ging, die – wie Pater Caspar gesagt hatte – die beiden Kaps der Insel miteinander verband, und wenn die Strömung sich gleich hinter dem nördlichen Kap genau nach Norden ausrichtete, dann musste sie von dort an genau auf der Linie des Antipoden-Meridians fließen!
Wenn er also auf jenem Türblatt wäre, würde er sich auf der Linie bewegen, die das Gestern vom Morgen trennte – oder das Gestern von dessen Morgen ...
Aber in jenem Augenblick dachte er etwas anderes. Wenn er auf dem Türblatt gewesen wäre, hätte er sich der Strömung nicht anders widersetzen können als mit den Händen. Es war schon schwierig genug, den eigenen Körper im Wasser zu lenken, wie dann erst ein Türblatt ohne Bug und Heck und ohne Steuerruder!
In der Nacht seiner Ankunft hatte ihn sein Türblatt nur dank besonderer Winde oder Nebenströmungen unter denBugspriet gebracht. Um ein neues Ereignis dieser Art voraussehen zu können, müsste er die Bewegungen des Meeres sehr aufmerksam über Wochen und Wochen studieren, vielleicht über Monate, indem er Dutzende von Türblättern ins Meer warf und wer weiß, was noch alles.
Unmöglich, zumindest beim Stand seiner hydrostatischen oder besser hydrodynamischen Kenntnisse. Da verließ er sich doch lieber aufs Schwimmen. Ein Hund, der paddelt, gelangt aus der Mitte eines Flusses leichter ans Ufer als ein Hund, der in einem Korb sitzt.
Folglich musste er seine Übungen fortsetzen. Und es würde auch nicht genügen, bloß die Strecke von der Daphne bis zum Ufer schwimmen zu können. Auch in der Bucht gab es zu verschiedenen Tageszeiten, je nach dem Stand von Ebbe und Flut, kleinere Strömungen, und leicht könnte ihn, während er guten Mutes nach Osten schwamm, eine solche Strömung zuerst nach Westen ziehen und dann geradewegs zum nördlichen Kap. Also musste er auch lernen, gegen den Strom zu schwimmen. Durch das Seil gesichert, musste er sich auch in die Gewässer auf der linken Seite des Schiffes wagen.
In den nächsten Tagen, als er noch auf der rechten Seite unter der Leiter übte, entsann er sich, dass er in La Griva nicht nur Hunde hatte schwimmen sehen, sondern auch Frösche. Und da ein menschlicher Körper, der mit ausgestreckten Armen und Beinen im Wasser liegt, mehr an die Form eines Frosches als an die eines Hundes erinnert, sagte er sich, dass er vielleicht einmal versuchen sollte, wie ein Frosch zu schwimmen. Gesagt, getan, er nahm sogar die Stimme zu Hilfe, schrie laut »Korax, korax«
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