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Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages

Titel: Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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und warf sich, ruckartig Arme und Beine spreizend, nach vorn. Dann verzichtete er auf das Quaken, da dieses Hervorstoßen tierischer Laute nur dazu geführt hatte, dass er zu heftig losgesprungen war und den Mund aufgemacht hatte, mit Ergebnissen, die ein erfahrener Schwimmer vorausgesehen hätte.
    Er verwandelte sich in einen älteren und gesetzten Frosch von majestätischer Ruhe. Wenn er spürte, dass ihm die Arme ermüdeten von dieser kontinuierlichen Ruderbewegung der auswärtsgekehrten Hände, paddelte er wieder nach Art der Hunde. Einmal, als er die weißen Vögel betrachtete, die seineÜbungen kreischend verfolgten, wobei sie manchmal wenige Armeslängen neben ihm senkrecht herabschossen, um sich einen Fisch aus dem Wasser zu greifen (der Möwenstoß!), versuchte er, so zu schwimmen, wie sie flogen, indem er mit den Armen eine weit ausholende Flügelbewegung machte; doch er merkte, dass es schwieriger ist, den Mund und die Nase geschlossen zu halten als einen Schnabel, und verzichtete auf weitere Versuche dieser Art. Inzwischen wusste er nicht mehr, was für ein Tier er war, ob Hund oder Frosch – oder vielleicht ein haariger Kröterich, ein amphibischer Vierfüßler, ein Zentaur der Meere, eine männliche Sirene.
    Immerhin stellte er bei all diesen Versuchen irgendwann fest, dass er, wenn auch eher schlecht als recht, ein Stückchen vorangekommen war: Er war am Bug ins Wasser gestiegen und befand sich schon hinter der Mitte des Schiffes. Doch als er dann umkehren und zur Leiter zurückschwimmen wollte, merkte er, dass er keine Kraft mehr hatte, und musste sich wieder am Seil zurückziehen.
    Was ihm fehlte, war das richtige Atmen. Er kam voran und konnte dann nicht mehr zurück ... Er war ein Schwimmer geworden, aber wie jener Pilger, von dem er hatte reden hören, der die ganze Pilgerfahrt von Rom nach Jerusalem in seinem Garten zurückgelegt hatte, jeden Tag eine halbe Meile, immer vor und zurück. Roberto war nie ein Athlet gewesen, aber die Monate auf der Amarilli , immer in der Kajüte, die Strapazen des Schiffbruchs, die Untätigkeit auf der Daphne – bis auf die wenigen Übungen, die Pater Caspar ihm auferlegt hatte –, das alles hatte ihn ganz entkräftet.
    Er wusste offenbar nicht, dass man sich durch Schwimmen stärken kann, und dachte eher daran, sich stärken zu müssen, um schwimmen zu können. Jedenfalls sehen wir ihn nun zwei, drei, vier Eier auf einmal austrinken und ein ganzes Huhn vertilgen, bevor er den nächsten Versuch macht. Zum Glück gab's das Seil. Denn kaum war er im Wasser, überfiel ihn ein solcher Krampf, dass er fast nicht mehr die Leiter hinaufkam.
    So saß er dann abends da und sann über diesen neuen Widerspruch nach: Zuerst, als er nicht einmal hoffte, die Insel erreichen zu können, war sie ihm ganz nahe vorgekommen. Und nun, seit er die Kunst erlernte, die ihn hinüberbringen sollte, rückte die Insel immer mehr in die Ferne.
    Mehr noch, da er sie nicht nur im Raum sah, sondern auch (und zurückblickend) in der Zeit, scheint Roberto von diesem Moment an jedes Mal, wenn er ihr Fernsein erwähnt, Raum und Zeit zu verwechseln, schreibt er doch: »die Bucht ist leider zu gestern«, und: »wie schwierig es ist, an jene Küste zu gelangen, die doch so bald ist«; oder auch: »wie viel Meer mich trennt vom gerade vergangenen Tag«, und sogar: »von der Insel kommen drohende Gewitterwolken herüber, während es hier schon heiter ist ...«
     
    Doch wenn die Insel immer mehr in die Ferne rückte, lohnte es sich dann überhaupt noch zu lernen, zu ihr hinzugelangen? In den nächsten Tagen verzichtet Roberto auf seine Schwimmübungen, um sich wieder daranzumachen, mit dem Fernrohr nach der Flammenfarbenen Taube zu suchen.
    Er sieht Papageien in den Bäumen sitzen, erkennt Früchte, verfolgt vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung das Aufleuchten und Erlöschen verschiedener Farben im Blättergrün, aber die Taube sieht er nicht. Er fängt wieder an zu denken, dass Pater Caspar sie nur erfunden hatte oder dass er einer Sinnestäuschung zum Opfer gefallen war. Zeitweise ist er sogar überzeugt, dass auch Pater Caspar nie existiert hat – und findet keine Spur mehr von ihm auf dem Schiff. Er glaubt nicht mehr an die Taube, er glaubt inzwischen auch nicht mehr, dass die Specula auf der Insel steht. Daraus zieht er sogar einen Trost, insofern es – sagt er sich – ja respektlos gewesen wäre, die Reinheit jenes Ortes durch eine Maschine zu beflecken. Und er beginnt wieder, an eine

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