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Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages

Titel: Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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andere hatten auf der Spitze etwas wie eine Arche, aus deren Fenstern wechselnde Fontänen schossen, die im Fallen eine doppelt weinende Trauerweide bildeten. Einer, der unten gleichsam nur ein dicker zylindrischer Stamm war, zeugte oben viele schlanke kleine Zylinder, die in verschiedene Richtungen wiesen, als wären's die Geschütze einer Festung oder eines Schlachtschiffs – deren Artillerie freilich aus Wasser bestand.
    Es gab gefiederte Brunnen oder solche mit Haarschopf und Bart, in so vielen Formen wie in den Krippen der Stern der Drei Weisen, dessen Schweif sie mit ihrem Springstrahlen imitierten. Auf einem stand die Figur eines Knaben, der mit der rechten Hand einen Sonnenschirm hielt, aus dessen Rippen lauter feine Wasserstrahlen kamen; aber mit der linken Hand hielt er seinen Pillermann und mischte in einem Weihwasserbecken seinen Urin mit dem Wasser aus der Schirmkuppel.
    Bei einem anderen Brunnen lag auf der Spitze ein ringelschwänziger Fisch, der aussah, als hätte er gerade den Jonas verschluckt, und er spritzte Wasser sowohl aus dem Maul wie aus zwei Löchern über den Augen. Und rittlings auf ihm saßeine Putte mit einem Dreizack in der Hand. Ein Brunnen in Form einer Blume trug einen Ball auf seiner Fontäne; wieder ein anderer war ein Baum mit vielen Blüten, deren jede eine Kugel auf ihrem Wasserstrahl tanzen ließ, so dass es aussah, als bewegten sich ebenso viele Planeten umeinander in der Kugel des Wassers. Es gab auch Brunnen, die als ein einziger Blütenkelch geformt waren, bei dem selbst die Blütenblätter aus Wasser bestanden, das aus einem Schlitz am Rand einer Scheibe kam, die oben auf der Säule postiert war.
    Zur Ersetzung der Luft durch Wasser gab es Brunnen in Form von Orgelpfeifen, die nicht Töne, sondern verflüssigte Atem- und Windstöße von sich gaben, und zur Ersetzung des Wassers durch Feuer gab es Brunnen in Form von Kandelabern, bei denen Flämmchen, die aus der Mitte der tragenden Säule aufflammten, Lichter auf die allseits herausschießenden Fontänen warfen.
    Ein anderer sah aus wie ein Pfau mit einer kleinen Krone und einem weit aufgespreizten Rad, dem der Himmel die Farben lieferte. Zu schweigen von einigen, die Perückenständer zu sein schienen und sich mit rauschenden Haartrachten schmückten. Auf einem öffnete sich eine Sonnenblume in einem Strahlenkranz. Und ein anderer hatte sogar das Antlitz der Sonne, fein skulpiert mit ringsherum angeordneten schnabelförmigen Tüllen, so dass es aussah, als ob das Gestirn nicht Strahlen aussandte, sondern Abendfrische.
    Auf einem drehte sich ein Zylinder, der Wasser aus mehreren spiralförmig angeordneten Kannelüren spritzte. Es gab Springbrunnen mit Löwen- oder Tigerschnauzen, mit Greifenlefzen, mit Schlangenzungen, ja sogar solche in Form eines heulenden Weibes, dem die Tränen sowohl aus den Augen wie aus den Brüsten quollen. Und im übrigen war es ein einziges Speien von Faunen oder geflügelten Wesen, ein Spucken von Schwänen, ein Spritzen von Elefantenrüsseln, Auskippen von Alabasteramphoren und Sichergießen von Füllhörnern.
    Lauter Visionen, die für Roberto – genau betrachtet – einen Sturz vom Regen in die Traufe darstellten.
    Unterdessen brauchten die Liebenden in jenem Tal, nun befriedigt, nur die Hand auszustrecken, um von einer traubenschweren Weinrebe das Geschenk ihrer Schätzeentgegenzunehmen, und ein Feigenbaum ließ Honigtränen fließen, als wollte er weinen vor Rührung über das ausspionierte Connubium, und auf einem Mandelbaum, der ganz mit Blüten umsteckt war, seufzte derweil die Flammenfarbene Taube ...
     
    Bis Roberto endlich schweißüberströmt erwachte.
    Sieh an, sagte er sich, da bin ich der Versuchung erlegen, durch einen ausgedachten Ferrante zu leben, und nun muss ich feststellen, dass Ferrante durch mich gelebt hat und dass er, während ich Phantasien erfand, real erlebt hat, was zu erleben ich ihm erlaubte!
    Um seine Wut abzukühlen und um Visionen zu haben, die – wenigstens diese – Ferrante verwehrt waren, schwamm er am nächsten Morgen erneut, das Seil am Gürtel und die Gläserne Maske auf dem Gesicht, seiner Welt der Korallen entgegen.

 
    36
    ARS MORIENDI
     
    A m Rand des Korallenriffs angelangt, schwamm Roberto mit dem Gesicht unter Wasser zwischen jenen ewigen Lauben dahin, doch es gelang ihm nicht, jene lebenden Steine frohgemut zu bewundern, denn eine Medusa hatte ihn in leblosen Fels verwandelt. In seinem Traum hatte er auch die Blicke gesehen, die Lilia dem

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