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Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages

Titel: Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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gelangten sie zu einer Insel, auf der die Löwen schwarz waren, die Hühner hatten ein Wollkleid, die Bäume blühten nur nachts, die Fische waren geflügelt, die Vögel hatten Schuppen, die Steine schwammen oben, und das Holz sank auf den Grund, die Schmetterlinge glänzten bei Nacht, und das Wasser machte trunken wie Wein.
    Auf einer zweiten Insel sahen sie einen Palast, der aus morschem Holz gebaut war und bemalt mit scheußlich anzusehenden Farben. Sie gingen hinein und fanden sich in einem mit Rabenfedern tapezierten Saal. An jeder Wand öffneten sich Nischen, in denen anstelle von steinernen Büsten kleine Männchen zu sehen waren, die hagere Gesichter hatten und durch ein Versehen der Natur ohne Beine geboren waren.
    Auf einem schmutzstarrenden Thron saß der König, er hob eine Hand, und es begann ein Konzert von Hämmern, schrill in Steinplatten fahrenden Bohrern und kreischend über Porzellanteller kratzenden Messern, bei dessen Klang sechs Männer erschienen, die nur aus Haut und Knochen bestanden und schauerlich schielten.
    Ihnen gegenüber erschienen sechs Frauen, die so dick waren, dass es dicker nicht ging. Nach einer Verbeugung vorihren Gefährten begannen sie einen Tanz, der Verkrüppelungen und Entstellungen zutage treten ließ. Dann brachen sechs grobe Kerle herein, die alle aus demselben Bauch geboren schienen, mit Nasen und Mündern so groß und Rücken so bucklig, dass sie eher wie Lügen der Natur als wie deren Geschöpfe anmuteten.
    Nach dem Tanz wollten unsere Reisenden einige Fragen an den König stellen, und da sie noch keine Worte gehört hatten und annahmen, dass auf jener Insel eine andere Sprache als die ihre gesprochen wurde, versuchten sie es mit Gesten, die eine universale Sprache sind, in der man auch mit den Wilden sprechen kann. Aber der Mann antwortete in einer Sprache, die eher an die verlorengegangene Sprache der Vögel erinnerte, denn sie bestand aus Trillern und Pfiffen, doch sie verstanden ihn, als hätte er in ihrer Sprache gesprochen. So begriffen sie, dass in jenem Palast, während sonst überall die Schönheit geschätzt wurde, nur die Ausgefallenheit zählte. Und dass sie just ebendies erwarten mussten, wenn sie Weltgegenden bereisten, in denen unten war, was andernorts oben ist.
    Auf der Weiterfahrt kamen sie zu einer dritten Insel, die schien verlassen, und Ferrante wagte sich, allein mit Lilia, ins Innere. Während sie dahinschritten, hörten sie plötzlich eine Stimme, die ihnen zurief, sie sollten rasch fliehen, dies sei die Insel der Unsichtbaren Menschen. In ebendiesem Augenblick seien sie von vielen umgeben, die einander mit Fingern jene beiden Besucher zeigten, die sich so schamlos ihren Blicken darboten. Für jenes Volk nämlich werde, wer sich betrachten ließ, zur Beute der Blicke anderer, und dann verliere man seine eigene Natur und verwandele sich in das Gegenteil seiner selbst.
    Auf einer vierten Insel fanden sie einen Mann mit tief in den Höhlen liegenden Augen, einer dünnen Stimme und einem Gesicht, das eine einzige Runzel war, aber von frischer Farbe. Der Bart und die Haare waren fein wie Watte und die Glieder so steif und zusammengeschrumpft, dass er, wenn er sich umsehen wollte, den ganzen Körper umdrehen musste. Und er sagte, er sei dreihundertvierzig Jahre alt, und in dieser Zeit habe er dreimal seine Jugend erneuert, indem er vom Wasser der Quelle Borica getrunken habe, die sich just aufjener Insel befinde und das Leben verlängere, allerdings nicht über das dreihundertvierzigste Jahr hinaus, weshalb er bald sterben werde. Und der Alte riet den Besuchern, nicht nach jener Quelle zu suchen: Dreimal zu leben, um erst das Doppelte und dann das Dreifache seiner selbst zu werden, bereite große Kümmernisse, und am Ende wisse man nicht mehr, wer man sei. Mehr noch: die gleichen Leiden dreimal zu erleben sei eine Strafe, aber eine große Strafe sei es auch, die gleichen Freuden abermals zu erleben. Die Freude am Leben komme aus dem Gefühl, dass sowohl Lust wie Trauer jeweils nur kurz andauern, und wehe uns, wenn wir wüssten, dass uns eine ewige Glückseligkeit beschieden wäre.
    Aber die Welt der Antipoden war schön wegen ihrer Vielfalt, und nach weiteren tausend Meilen trafen sie auf eine fünfte Insel, die war voller Teiche; und jeder Inselbewohner verbrachte sein Leben damit, kniend sich selbst im Wasser zu betrachten, denn dort meinte man, wer nicht gesehen wird, sei wie gar nicht vorhanden, und wer den Blick abwenden und sich nicht länger

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