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Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages

Titel: Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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wäre, und jedes Jahrhundert würde nur ein Körnchen weggenommen, würden wir zu leiden aufhören, wenn das Universum ausgeschöpft wäre? Nicht einmal dann. In saecula . Stellen wir uns einen Verdammten vor, der nach Millionen Jahrhunderten nur zwei Tränen vergösse, müsste er dann noch weiterleiden, wenn seine Tränen eine noch größere Sintflut gebildet hätten als jene, in der einst das ganze Menschengeschlecht versank? Ah, machen wir Schluss damit, seien wir keine Kinder! Soll ich's euch sagen? In saecula, in saecula werden die Verdammten zu leiden haben, in saecula, was so viel heißt wie ohne Zahl, ohne Ende und ohne Maß.«
    Pater Caspars Gesicht sah jetzt aus wie das des Karmeliters auf La Griva. Er hob den Blick zum Himmel, als suchte er dort eine letzte Hoffnung auf Erbarmen. »Aber Gott«, rief er im Ton eines bedauernswerten Büßers, »leidet Gott nicht beim Anblick unserer Leiden? Wird es nicht geschehen, dass Er eine Regung empfindet, wird es nicht geschehen, dass Er sich am Ende zeigt, auf dass wir wenigstens durch Seinen Kummer getröstet werden? Ah, ihr Einfältigen! Gott wird sich zeigen, aber ihr könnt euch nicht vorstellen, wie! Wenn wir die Augen heben, werden wir sehen, dass Er für uns – muss ich's sagen? – ein Nero geworden sein wird, nicht durch Ungerechtigkeit, sondern durch Strenge, denn er wird uns nicht nur nicht trösten oder helfen oder auch nur bedauern, sondern er wird mit unfasslichem Vergnügen über uns lachen! Denkt nur, in welche Raserei wir darüber ausbrechenwerden! Wir brennen, werden wir sagen, und Gott lacht? Wir brennen, und Gott lacht? O grausamster Gott! Warum zermalmst du uns nicht mit deinen Blitzen, statt uns mit deinem Gelächter noch zu verhöhnen? Verdopple unsere Flammen, du Gnadenloser, aber ergötze dich nicht daran! Ah, dein Lachen ist für uns bitterer als unser Weinen! Deine Freude ist für uns schmerzlicher als unser Leiden! Warum hat unsere Hölle keine Abgründe, in die wir uns flüchten können vor dem Antlitz dieses lachenden Gottes? Zu bitterlich täuschte uns, wer uns sagte, dass unsere Bestrafung darin bestehen werde, das Antlitz eines ungnädigen Gottes zu sehen. Eines lachenden Gottes, hätte es heißen müssen, eines lachenden Gottes! Ah, um dieses Lachen nicht sehen und nicht hören zu müssen, wünschten wir, dass uns die Berge auf den Kopf fielen oder der Boden unter den Füßen wegglitte. Aber nein, wir werden leider sehen müssen, was uns schmerzt, und werden blind und taub sein für alles außer für das, wofür wir gern taub und blind wären!«
     
    Roberto roch das ranzige Hühnerfutter in den Ritzen zwischen den Planken und hörte von draußen das Kreischen der Seevögel, das er für das Gelächter Gottes hielt.
    »Aber warum die Hölle für mich?«, fragte er. »Und warum für alle? War's nicht, um sie nur wenigen vorzubehalten, dass uns Christus erlöst hat?«
    Pater Caspar lachte wie der Gott der Verdammten: »Wann hat er euch denn erlöst? Und auf welchem Planeten, in welchem Universum glaubst du denn jetzt zu leben?«
    Er nahm Robertos Hand, riss ihn von seinem Lager hoch und zerrte ihn durch die Gänge der Daphne , während der Kranke einen nagenden Schmerz in den Eingeweiden verspürte und meinte, den Kopf voll tickender Uhren zu haben. Die Uhren, dachte er, die Zeit, der Tod ...
    Pater Caspar zog ihn in einen Raum, den er noch nie gesehen hatte, eine Kammer mit weißgetünchten Wänden und einem Gestell, auf dem ein geschlossener Kasten stand, der an einer Seite ein rundes Bullauge hatte. Vor diesem Bullauge war eine waagrecht verschiebbare Leiste angebracht, in der sich lauter gleich große Bullaugen mit scheinbar undurchsichtigen Gläsern befanden. Wenn man die Leisteverschob, konnte man ihre Augen mit dem des Kastens zur Deckung bringen. Roberto entsann sich, einmal in der Provence ein kleineres Exemplar dieses Apparates gesehen zu haben, der, wie es hieß, das Licht durch den Schatten zu beleben vermochte.
    Pater Caspar öffnete eine Seite des Kastens, und man sah eine große Lampe auf einem Dreifuß, die an der Seite gegenüber dem Schnabel anstelle des Henkels einen runden Spiegel mit besonderer Wölbung hatte. Als der Docht brannte, warf der Spiegel die Lichtstrahlen in eine Röhre, in eine Art kurzes Fernrohr, dessen äußere Linse das Bullauge an der Außenwand war. Von dort drangen die Strahlen (sobald Pater Caspar den Kasten wieder geschlossen hatte) durch die Glasaugen der verschiebbaren Leiste, wobei sie sich

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