Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages
Lilia der einzige richtige Name für seine Signora, war sie doch wahrhaft liliengleich in ihrem duftenden Weiß.
Seit jenem Augenblick war die Signora für ihn Lilia, und Lilia nannte er sie in Liebesgedichten, die er, kaum dass er sie geschrieben hatte, vernichtete in der Furcht, sie könnten als Huldigung nicht genügen: O süßeste Lilia, / kaum pflückte ich eine Blume, warst du verschwunden! / Verschmähst du, dass ich dich wiedersehe? / Ich folge dir, und du fliehst / ich spreche zu dir, und du schweigst ... Aber er sprach nicht zu ihr, außer mit Blicken voll streitsüchtiger Liebe, denn je mehr man liebt, desto mehr neigt man zum Groll, erschauernd von kalter Glut, erregt von kranker Gesundheit, die Seele leicht wie eine Feder aus Blei, mitgerissen von jenen teuren Effekten einer Liebe ohne Affekte; und er schrieb weiter Briefe an die Signora, die er ohne Unterschrift absandte, und Gedichte an Lilia, die er eifersüchtig für sich behielt und jeden Tag wiederlas.
So schreibend (ohne es abzusenden) Lilia, Lilia, wo bist du? Wo hältst du dich versteckt? / Lilia, Glanz des Himmels / niedergefahren bist du in einem Blitz / um zu verwunden und zu verschwinden ... , vervielfachte er seine Präsenz. Und indem er sie nachts verfolgte, wenn sie mit ihrer Zofe nach Hause ging ( durch die finstersten Wälder / durch die finstersten Gassen / genieß' ich's gleichwohl zu folgen, wenn auch vergebens / dem leichten Fuße ... ), entdeckte er, wo sie wohnte. Er wartete in der Nähe jenes Hauses, wenn die Stunde des täglichen Spaziergangs nahte, und heftete sich an ihre Fersen, wenn sie ausging. Noch Monate später konnte er aus dem Gedächtnis den Tag und die Stunde angeben, als sie ihre Frisur verändert hatte (wozu er Verse schmiedete über die teuren Schleifen der Seele, die auf der reinen Stirn umherirrten wie laszive Schlangen), und er erinnerte sich an jenen magischen Monat April, als sie zum ersten Mal ein ginstergelbes Mäntelchen trug, das ihr den raschen Gang eines Sonnenvogels verlieh, während sie im ersten Frühlingswind ausschritt.
Manchmal, wenn er ihr wie ein Spion gefolgt war, machte er kehrt, lief, so schnell er konnte, um den Häuserblock herum und verlangsamte seinen Schritt erst kurz vor der Ecke, an der er wie zufällig vor ihr stehen würde; alsdann ging er mit einem bangen Gruß an ihr vorbei. Sie lächelte diskret, überrascht von der scheinbaren Fügung, und beschenkte ihn mit einem flüchtigen Wink, wie es die Konvention erforderte. Woraufhin er dann mitten auf der Straße stehenblieb wie eine Salzsäule, mit Wasser bespritzt von den vorüberfahrenden Karossen, erschöpft von jener Liebesschlacht.
Im Verlauf mehrerer Monate gelang es Roberto, ganze fünf solcher Siege zu erringen, und über jeden frohlockte er, als ob es der erste und letzte wäre, und redete sich ein, dass diese Erfolge, wenn sie so häufig eintraten, kein Zufall sein konnten und dass vielleicht gar nicht er, sondern sie den Zufall gesteuert hatte.
Ein Pilger in dieses flüchtige Heilige Land, ein flatterhafter Verliebter, wünschte er sich, der Wind in ihren Haaren zu sein, das Wasser, das ihren Leib in der Frühe küsste, die Tücher, die sie bei Nacht umschmeichelten, das Buch, das sie bei Tag streichelte, der Handschuh, der ihre Finger umschloss, der Spiegel, der sie in jeder Pose bewundern konnte ...Einmal erfuhr er, dass ihr jemand ein Eichhörnchen geschenkt hatte, und stellte sich vor, er wäre das neugierige Tierchen, das, von ihr gekrault, die unschuldige Schnauze in ihren jungfräulichen Busen steckte, während der buschige Schwanz ihre Wange liebkoste.
Er geriet in Verwirrung über die Kühnheit, zu der seine Leidenschaft ihn trieb, er übersetzte Schamlosigkeit und Gewissensbisse in bebende Verse, dann aber sagte er sich, dass ein Honnête homme zwar verliebt sein kann wie ein Narr, aber nicht wie ein Schwachkopf. Sein Schicksal als Liebender würde sich einzig und allein durch die Proben seines Witzes entscheiden, die er in der Chambre bleue zu geben vermochte. Obwohl Neuling in jenen liebenswürdigen Riten, hatte er doch schon begriffen, dass man eine Précieuse nur mit Worten erobern konnte. Also hörte er sich die Reden in den Salons an, in denen die Edelleute miteinander wetteiferten wie in einem Turnier, doch er fühlte sich noch nicht reif.
Es war der Umgang mit den Gelehrten im Kabinett Dupuy, der ihn dazu anregte, die Prinzipien der neuen Wissenschaft, die in der Gesellschaft noch unbekannt waren, als
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