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Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages

Titel: Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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schöne Mademoiselle Paulet, genannt »die Löwin«, wegen ihrer stolzen Frisur, und Damen, die es verstanden, ihre Schönheit mit jenem Geist zu verbinden, den die vergreisten Akademien allein den Männern zuerkannten.
    Nach einigen Jahren in dieser Schule war er reif für die Begegnung mit der Signora.
    Das erste Mal sah er sie an einem Abend, an dem sie in dunklen Kleidern erschien, verschleiert wie eine verschämte Luna, die sich hinter Wolken verbirgt. Le bruit , das Gerücht, diese einzigartige Ausdrucksform, die in der Pariser Gesellschaft an die Stelle der Wahrheit tritt, wusste Widersprüchliches über sie zu vermelden: dass sie an einer grausamen Witwenschaft leide, aber nicht wegen eines Ehemannes, sondern eines Liebhabers, und dass sie viel Aufhebens um diesen Verlust mache, um ihre Souveränität über das verlorene Gut zu bekräftigen. Jemand raunte ihm zu, sie verberge ihr Gesicht, weil sie eine wunderschöne Ägypterin aus dem Mohrenland sei.
    Was immer die Wahrheit sein mochte, es genügte der bloße Faltenwurf ihres Kleides, ihr leichter Gang, das Geheimnis ihres verhüllten Gesichts, und Robertos Herz war ihr verfallen. Er erleuchtete sich mit ihrer strahlenden Dunkelheit, ersah sie als morgenroten Vogel der Nacht, er zitterte über das Wunder, durch welches das Licht sich verdüsterte und das Dunkel leuchtend wurde, die Tinte Milch und das Ebenholz Elfenbein. Der Onyx funkelte in ihrem Haar, das leichte Gewebe, das die Konturen ihres Gesichts und ihres Körpers verbergend enthüllte, hatte die gleiche silberne Düsternis wie die Sterne.
    Doch plötzlich, an jenem selben Abend ihrer ersten Begegnung, war ihr für einen Moment der Schleier von der Stirn gefallen, und Roberto hatte unter jener Sichel des Mondes den leuchtenden Abgrund ihrer Augen erblickt. Zwei liebende Herzen, die einander ansehen, sagen mehr, als alle Sprachen dieser Welt während eines ganzen Tages sagen könnten – hatte Roberto sich geschmeichelt, da er sicher war, dass sie ihn betrachtet und wirklich angesehen hatte. Und kaum nach Hause zurückgekehrt, hatte er ihr geschrieben:
     
    Signora,
    das Feuer, mit dem Ihr mich verbranntet, lässt so wenig Rauch aufsteigen, dass Ihr nicht leugnen könnt, geblendet worden zu sein, als Ihr jene schwarzen Dämpfe bandet. Die bloße Macht Eures Blickes hat mir die Waffen des Stolzes aus der Hand geschlagen und mich flehen lassen, dass Ihr mein Leben verlangt. Wie viel ich selbst zu Eurem Sieg beigetragen, ich, der ich zu kämpfen begann wie einer, der besiegt werden will, indem ich Eurem Angriff den verwundbarsten Teil meines Körpers darbot, nämlich ein Herz, das blutige Tränen vergoss, beweist, dass Ihr mein Haus schon des Wassers beraubt hattet, um es zur Beute jenes Brandes zu machen, den Eure wenngleich nur kurze Aufmerksamkeit entfachte!
     
    Er fand den Brief so glänzend nach den Vorschriften von Pater Emanueles Metaphernmaschine geschrieben und so gut geeignet, der Signora die Natur der einzigen Person zu enthüllen, die zu solcher Innigkeit fähig war, dass er es nicht für nötig hielt, ihn zu unterschreiben. Er wusste noch nicht, dass die Précieuses solche Liebesbriefe sammelten wie Schmuck und Zierat, neugieriger auf ihre Metaphern als auf ihre Autoren.
    In den folgenden Wochen und Monaten erhielt er kein Zeichen der Antwort. In derselben Zeit aber gab die Signora zuerst ihre dunklen Kleider auf, dann den Schleier, und so war sie ihm schließlich im reinen Weiß ihrer ganz und gar nicht mohrenhaften Haut erschienen, im Gold ihres blonden Haars, im Triumph ihrer nun nicht mehr ausweichenden Pupillen, die er als Fenster der Morgenröte bezeichnet.
    Doch nun, da er frei ihre Blicke zu kreuzen vermochte, konnte er ihre Blicke auch abfangen, wenn sie sich anderen zuwandten, und er berauschte sich an der Musik von Worten, die nicht für ihn bestimmt waren. Er konnte nicht anders mehr leben als in ihrem Licht und war doch dazu verdammt, im Schatten eines anderen Körpers zu bleiben, der die Strahlen von ihr absorbierte.
    Eines Abends schnappte er ihren Namen auf, als er hörte, wie jemand sie Lilia nannte; sicher war das nur ihr preziöser nom de précieuse , und er wusste sehr wohl, dass solche Namen zum Spiel verliehen wurden – die Marquise selbst hatte den Namen Arthénice als Anagramm ihres richtigen Namens Cathérine bekommen (doch die Meister jener ars combinatoria , Racan und Malherbe, hätten sie auch Éracinthe oder Carinthée nennen können). Gleichwohl erschien ihm

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