Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages
mit einem Bekannten aus Casale geblieben, durch den er sich angespornt fühlte, seine Kenntnisse zu erweitern. Ich weiß nicht, wie er nach Aix-en-Provence gekommen war, aber dass er dort war, ist nicht zu bezweifeln, denn er spricht mit dem Ausdruck der Dankbarkeit von zwei Jahren, die er bei einem dortigen Edelmann verbracht hatte, einem in allen Wissenschaften bewanderten Manne mit einer Bibliothek, die nicht nur reich an Büchern war, sondern auch an Kunstwerken, antiken Denkmälern und ausgestopften Tieren. Bei diesem Gastgeber in Aix muss er dann auch jenen Lehrer kennengelernt haben, den er stets mit großer Hochachtung als den »Kanonikus von Digne« bezeichnet und manchmal auch als le doux prêtre . Mit dessen Empfehlungsbriefen war er dann schließlich zu einem nicht genauer bestimmten Zeitpunkt nach Paris aufgebrochen.
Dort war er sofort in Kontakt mit Freunden des Kanonikus getreten, die ihm Zugang zu einem der angesehensten Orte der Stadt verschafften. Häufig erwähnt er ein Kabinett der Gebrüder Dupuy und beschreibt es als einen Ort, an dem sein Geist sich jeden Tag etwas mehr geöffnet habe in derBegegnung mit Männern der Wissenschaft. Aber es finden sich auch Erwähnungen anderer Kabinette, die er in jenen Jahren besuchte, mit reichen Sammlungen von Medaillen, türkischen Messern, Achatsteinen, mathematischen Raritäten, Muscheln aus Indien ...
In welchen Kreisen er sich im heiteren April (oder Mai) seines Lebens herumtrieb, sagen uns die häufigen Erwähnungen von Lehren, die in unseren Ohren kraus oder unstimmig klingen mögen. Er verbrachte seine Tage damit, von dem Kanonikus zu lernen, wie man eine Welt konzipieren könne, die aus Atomen besteht, ganz entsprechend der Lehre des Epikur, und die gleichwohl von der göttlichen Vorsehung gewollt und gelenkt wird; doch getrieben von der gleichen Liebe zu Epikur verbrachte er seine Abende dann mit Freunden, die sich Epikureer nannten und es verstanden, Diskussionen über die Ewigkeit der Welt mit Besuchen bei schönen Damen von geringer Tugend zu verbinden.
Oft spricht er von einer Bande leichtlebiger Freunde, die gleichwohl mit zwanzig schon wussten, wessen andere sich rühmen könnten, wenn sie es mit fünfzig wüssten: Lignières, Chapelle, d'Assoucy, ein Philosoph und Poet, der mit umgehängter Laute herumlief, Poquelin, der Lukrez übersetzte, aber davon träumte, ein Komödienautor zu werden, Hercule Savinien, der sich bei der Belagerung von Arras tapfer geschlagen hatte, Liebeserklärungen an erdachte Geliebte verfasste und intime Neigungen zu jungen Männern zur Schau trug, durch welche er die italienische Krankheit bekommen zu haben sich rühmte; zugleich aber machte er sich lustig über einen Gefährten seiner Ausschweifungen, qui se plaisoit à l'amour des masles , »der sich mit der Liebe zu Männern vergnügte«, und sagte höhnisch, man müsse ihn entschuldigen, da ihn seine Schüchternheit dazu verleite, sich ständig hinter dem Rücken seiner Freunde zu verstecken.
Aufgenommen in eine Gesellschaft unabhängiger Geister, wurde Roberto wenn nicht schon gebildet, so doch ein Verächter der Unbildung, die er sowohl bei Edelleuten am Hofe wie auch bei gewissen reich gewordenen Bürgern fand, in deren Salons leere Schachteln, in feinstes Leder gebunden und auf dem Rücken mit den Namen der besten Autoren in goldenen Lettern bedruckt, schön sichtbar ausgestellt waren.
Mit einem Wort, Roberto war in die Kreise jener honnêtes gens eingetreten, die, auch wenn sie nicht aus dem Geburtsadel kamen, sondern nur aus dem Amtsadel, der noblesse de robe , gleichwohl das Salz jener Welt ausmachten. Aber er war jung, begierig auf neue Erfahrungen und trotz seines Umgangs mit Gelehrten und Freigeistern nicht unempfindlich für den Zauber des wahren Adels.
Lange Zeit bewunderte er von außen, wenn er abends durch die Rue Saint-Thomas-du-Louvre ging, das Hôtel de Rambouillet mit seiner schönen Fassade, reich moduliert durch Gesimse, Friese, Architrave und Pfeiler in einem Wechselspiel von roten Ziegeln, weißem Sandstein und dunkelgrauem Schiefer.
Er spähte in die hell erleuchteten Fenster, sah die Gäste eintreten, stellte sich die schon damals berühmte Schönheit des inneren Gartens vor, malte sich die Einrichtung und das Milieu jenes kleinen Hofes aus, den ganz Paris feierte: den Hof einer vornehmen Dame mit Geschmack, die keinen Geschmack am Hof eines Königs gefunden hatte, der unfähig war, die Finessen des Geistes zu
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