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Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages

Titel: Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Fehler, damit er sich aus Eitelkeit veranlasst sieht, Euch zu korrigieren und Euch lang und breit zu erklären, was er für sich behalten müsste. Behauptet nie etwas, spielt immer nur an: Anspielungen macht man, um die Seelen abzutasten und die Herzen zu erforschen. Ihr müsst ihm Vertrauen einflößen: wenn er oft lacht, so lacht mit ihm, wenn er cholerisch ist, verhaltet Euch wie ein Choleriker, aber bewundert immerzu sein Wissen. Wenn er aufbrausend und beleidigend ist, so ertragt die Beleidigung im Wissen, dass Ihr ihn schon zu bestrafen begonnen hattet, noch ehe er Euch beleidigte. Auf See sind die Tage lang und die Nächte endlos, und nichts tröstet einen Engländer besser über die Langeweile hinweg als viele Krüge voll jenen Bieres, das die Holländer stets im Laderaum vorrätig haben. Gebt Euch als ein Liebhaber jenes Getränks aus, und ermuntert Euren neuen Freund, mehr davon zu trinken, als Ihr selber trinkt. Eines Tages könnte er Verdacht schöpfen und Eure Kajüte durchsuchen; darum dürft Ihr Eure Beobachtungen niemals schriftlich festhalten, aber Ihr könnt ein Tagebuch führen, in dem Ihr Euer schlimmes Los beklagt oder zur Madonna und den Heiligen betet oder Euch über die ferne Geliebte ergeht, die wiederzusehen Ihr keine Hoffnung mehr habt, und in diesem Tagebuch finden sich dann Bemerkungen über die Qualitäten des Doktors, den Ihr lobend erwähnt als den einzigen Freund, den Ihr an Bord gefunden habt. Notiert Euch keine Sätze von ihm, die irgendetwas mit unserem Projekt zu tun haben, sondern nur sentenziöse Bemerkungen, gleichgültig welche, denn soabgeschmackt sie auch sein mögen: wenn er sie gesagt hat, wird er sie nicht für abgeschmackt halten und wird Euch dankbar sein, dass Ihr sie im Kopf behalten habt. Kurzum, wir sind nicht hier, um Euch ein Breviarium des guten Geheimagenten an die Hand zu geben – in solchen Dingen kennt ein Kirchenmann sich nicht gut aus. Verlasst Euch auf Euer Gespür, seid auf schlaue Weise umsichtig und auf umsichtige Weise schlau, lasst die Schärfe Eures Blickes umgekehrt proportional zu seinem Ruf und proportional zu Eurer Schnelligkeit sein.«
    Mazarin erhob sich, um seinem Gesprächspartner zu bedeuten, dass die Unterredung beendet war, und um ihn für einen Moment zu überragen, bevor auch er sich erhob. »Folgt Colbert. Er wird Euch weitere Instruktionen geben und Euch denen anvertrauen, die Euch nach Amsterdam auf das Schiff bringen werden. Geht, und viel Glück.«
    Sie wollten gerade hinausgehen, da rief ihn der Kardinal noch einmal zurück: »Ach, ich vergaß, San Patrizio. Ihr werdet verstanden haben, dass Ihr von hier bis zur Einschiffung in Amsterdam auf Schritt und Tritt bewacht sein werdet, aber Ihr werdet Euch fragen, wieso wir nicht fürchten, dass Ihr danach versucht sein könntet, beim ersten Halt das Weite zu suchen. Wir fürchten es nicht, weil es Euch nichts nützen würde. Ihr könntet nicht hierher zurück, wo Ihr stets ein Verbannter bliebet, und wenn Ihr in ein anderes Land fliehen würdet, müsstet Ihr ständig fürchten, dass unsere Agenten Euch aufspüren. In beiden Fällen müsstet Ihr überdies auf Euren Namen und Euren Rang verzichten. Es kommt uns auch nicht der Verdacht, dass ein Mann von Eurer Qualität sich an die Engländer verkaufen könnte. Was hättet Ihr schon zu verkaufen? Dass Ihr ein Spion seid, ist ein Geheimnis, das Ihr, um es zu verkaufen, erst lüften müsstet, und einmal gelüftet, wäre es nichts mehr wert außer einem Dolchstoß. Kehrt Ihr jedoch mit Indizien zurück, und seien sie noch so bescheiden, so habt Ihr ein Anrecht auf unsere Dankbarkeit. Wir täten schlecht daran, einen Mann zu entlassen, der sich in einer so diffizilen Mission bewährt hat. Der Rest hängt von Euch ab. Die Dankbarkeit der Großen, einmal erworben, muss man mit Eifersucht pflegen, um sie nicht zu verlieren, und mit weiteren Diensten nähren, damit sie fortdauert:Ihr werdet dann entscheiden, ob Eure Loyalität gegenüber Frankreich so groß ist, dass sie Euch rät, Eure Zukunft seinem König zu verschreiben. Es soll schon andern passiert sein, dass sie woanders geboren sind und in Paris ihr Glück gemacht haben.«
    Mazarin empfahl sich selber als Vorbild an belohnter Loyalität. Doch für Roberto ging es in diesem Moment sicher nicht um Belohnungen. Der Kardinal hatte ihm die Aussicht auf ein Abenteuer, auf neue Horizonte eröffnet und hatte ihm eine Lektion in Lebensklugheit erteilt, deren Unkenntnis ihn vielleicht bisher der

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