Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages
bestimmt haben sollte, wussten die anderen Seefahrer, die nach jener Länge suchten (und er selbst bei seiner zweiten Reise) nicht genau, auf welcher Länge sie selbst sich befanden. Und wie Ihr Euch vorstellen könnt, Monsieur, auch wenn wir zwar wüssten, wo Paris liegt, aber nicht feststellen könnten, ob wir uns gerade in Spanien oder bei den Persern befinden, würden wir uns bewegen wie Blinde, die andere Blinde führen.«
»Tatsächlich«, wagte Roberto einzuwerfen, »fällt es mir schwer zu glauben, bei allem, was ich über den Fortschritt des Wissens in unserem Jahrhundert gehört habe, dass wir noch immer so wenig wissen.«
»Ich will Euch nicht die Methoden aufzählen, die zur Lösung des Problems vorgeschlagen worden sind, angefangen von der auf den Mondfinsternissen beruhenden bis zu der, die mit den Abweichungen der Magnetnadel operiert, für die sich noch kürzlich unser Landsmann Le Tellier erwärmt hat – um nicht von der Log-Methode zu sprechen, von der sich unser Landsmann Champlain so viel versprochen hat ... Aber alle haben sich als unzureichend erwiesen, und siewerden es bleiben, solange Frankreich kein Observatorium hat, in dem es alle Hypothesen einer Prüfung unterziehen kann. Natürlich gäbe es ein sicheres Mittel: Wenn man an Bord eine Uhr hätte, die fehlerfrei die Pariser Uhrzeit anzeigte, bräuchte man unterwegs nur die gültige Ortszeit zu bestimmen und könnte dann an der Differenz den Längengrad errechnen. Dies hier ist die Erdkugel, auf der wir leben, Ihr seht, wie die Weisheit der Alten sie in dreihundertsechzig Längengrade eingeteilt hat, wobei man die Zählung gewöhnlich bei dem Meridian beginnt, der durch Hierro, die Insel des Eisens, die westlichste der Kanarischen Inseln, geht. Auf ihrer himmlischen Bahn durchläuft die Sonne – wobei es auf dasselbe hinauskommt, ob sie sich bewegt oder die Erde, wie man es heute will – in einer Stunde fünfzehn Längengrade, und wenn es in Paris Mitternacht ist, wie in diesem Moment, dann ist es hundertachtzig Längengrade von Paris entfernt Mittag. Also wenn man mit Sicherheit weiß, dass in Paris die Uhren, sagen wir, zwölf Uhr Mittag anzeigen, und wenn man die Uhrzeit an dem Ort, wo man sich befindet, als sechs Uhr morgens bestimmt, so nimmt man die Differenz, rechnet für jede Stunde fünfzehn Grade und weiß, dass man sich neunzig Grad westlich von Paris befindet, also mehr oder weniger hier.« Er drehte den Globus und deutete auf einen Punkt des amerikanischen Kontinents. »Doch wenn es auch nicht schwer ist, die jeweilige Ortszeit zu bestimmen, so ist es doch ziemlich schwierig, an Bord eine Uhr mitzuführen, die unbeirrt die genaue Uhrzeit angibt, auch nach monatelanger Seefahrt auf einem von Wind und Wellen geschüttelten Schiff, dessen Bewegungen selbst die besten unserer modernen Apparate aus dem Takt bringen, zu schweigen von Sand- oder Wasseruhren, die auf einer unbeweglichen Fläche stehen müssen, um zu funktionieren.«
Der Kardinal unterbrach ihn: »Wir denken, fürs erste hat Signor di San Patrizio genug erfahren, Colbert. Sorgt dafür, dass er auf der Fahrt nach Amsterdam weitere Belehrung erhält. Danach werden nicht mehr wir ihn belehren, sondern, wir vertrauen darauf, er uns. Denn, lieber San Patrizio, der Kardinal, dessen Auge weiter sah und immer noch sieht als das unsere – und wir hoffen, noch lange –, hat seit langem ein Netz von zuverlässigen Informanten aufgebaut, derenAufgabe es ist, in die anderen Länder zu reisen und sich in den Häfen umzuhören und die Kapitäne zu befragen, die sich zu einer Reise anschicken oder von einer zurückkehren, um zu erfahren, was die anderen Regierungen tun und ob sie etwas wissen, was uns noch unbekannt ist, denn – und das scheint mir evident – derjenige Staat, der das Geheimnis der Längengrade entdecken würde und zu verhindern wüsste, dass es bekannt wird, würde einen großen Vorteil über alle anderen gewinnen. Nun« – hier machte Mazarin erneut eine Pause, strich sich den Schnurrbart glatt und legte die Hände zusammen, wie um sich zu konzentrieren und gleichzeitig die Hilfe des Himmels zu erflehen –, »nun haben wir erfahren, dass ein englischer Arzt, ein gewisser Doktor Byrd, ein neues und wunderbares Mittel zur Bestimmung des Meridians erdacht haben soll, das auf dem sympathetischen Pulver beruht. Fragt uns nicht, wie, lieber San Patrizio, ich kenne nur gerade den Namen dieser Teufelei. Wir wissen mit Sicherheit, dass es sich um dieses Pulver
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