Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages
Wertschätzung anderer entzogen hatte. Vielleicht war es gut, diese Einladung anzunehmen, die ihn von seinen Leiden entfernte. Was die andere Einladung betraf, die er vor drei Tagen erhalten hatte, so war ihm bereits alles klar geworden, als der Kardinal seine Rede begonnen hatte. Wenn ein anderer an einer Konspiration teilgenommen hatte und alle glaubten, es handle sich um Roberto, dann hatte ein anderer sicher auch konspiriert, um Lilia jenen Satz einzugeben, der ihn mit Freude gefoltert und mit Eifersucht beglückt hatte. Zu viele andere zwischen ihm und der Wirklichkeit. Umso besser also, sich auf hoher See zu isolieren, wo er die Geliebte auf die einzige Art würde besitzen können, die ihm vergönnt war. Schließlich besteht die höchste Vollendung der Liebe nicht darin, geliebt zu werden, sondern ein Liebender zu sein.
Er beugte ein Knie und sagte: »Eminenz, ich bin der Eure.«
Oder jedenfalls hätte ich es gerne so, da es mir unpassend erschiene, ihm einen Freibrief mitgeben zu lassen, der da lautete: »Träger dieses hat bei allem, was er getan hat, auf meinen Befehl und zum Wohle des Staates gehandelt.«
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UNERHÖRTE KURIOSITÄTEN
W enn die Daphne , wie die Amarilli , auf der Suche nach dem Punto Fijo gewesen war, dann war der Eindringling gefährlich. Roberto wusste nun von dem lautlosen Kampf, den sich die Staaten Europas lieferten, um jenes Geheimnis in ihren Besitz zu bringen. Er musste sich sehr gut vorbereiten und schlau zu Werk gehen. Offensichtlich war der Eindringling zu Beginn der Nacht tätig geworden, dann hatte er sich ins Freie begeben, als Roberto, wenn auch in der Kajüte, seine Tagwache begann. Sollte er seine Pläne umstürzen, ihm den Eindruck vermitteln, dass er tagsüber schlafe und nachts Wache halte? Wozu, der andere würde bloß seine Gewohnheiten ändern. Nein, er musste ihm eher jede Voraussage unmöglich machen, ihn verunsichern, ihn glauben lassen, er schlafe, wenn er wachte, und schlafen, wenn der andere dachte, er wache ...
Er würde versuchen müssen, sich vorzustellen, was der andere dachte, dass er dachte, oder was der andere dachte, dass er dachte, dass der andere dachte ... Bis zu diesem Moment war der Eindringling sein Schatten gewesen, jetzt würde Roberto der Schatten des Eindringlings werden müssen, würde lernen müssen, die Spuren dessen zu verfolgen, der auf seiner Spur war. Aber würde dieses gegenseitige Belauern ewig so weitergehen können – der eine schleicht eine Treppe hinauf, während der andere die entgegengesetzte hinuntersteigt, der eine hockt unten im Kielraum, während der andere oben auf Deck Wache hält, der oben stürzt sich ins Unterdeck, während der unten womöglich außen an der Bordwand emporklettert?
Jeder besonnene Mensch hätte sofort beschlossen, die Erkundung des restlichen Schiffes vorzunehmen, aber vergessen wir nicht, dass Roberto nicht sehr besonnen war. Er grifferneut zum Branntwein und redete sich ein, er tue es, um sich zu stärken. Einen Mann, den die Liebe stets zum Warten angeregt hatte, konnte jenes Feuerwasser nicht zur Entscheidung anregen. Daher ging er langsam ans Werk und meinte, er wäre ein Blitz. Er glaubte zu springen und kroch auf allen vieren. Umso mehr, als er noch nicht wagte, bei Tag ins Freie zu treten, und sich nur in der Nacht stark fühlte. Aber in der Nacht trank er und wurde dann träge. Und genau das war's, was sein Feind gewollt hatte, sagte er sich am nächsten Morgen. Und machte sich, um sich Mut zu machen, erneut über den Zapfhahn her.
Jedenfalls beschloss er erst gegen Abend des fünften Tages, sich in jenen Teil des Kielraums hinunterzuwagen, den er noch nicht gesehen hatte: den vorderen Teil unter der Speisekammer. Er stellte fest, dass auf der Daphne jeder verfügbare Raum voll ausgenutzt war: zwischen Unterdeck und Kielboden hatte man Bretterwände und Zwischendecks eingezogen, um Verschläge zu gewinnen, die durch wacklige Treppen miteinander verbunden waren. Er gelangte in den Stauraum der Taue, stolperte über zusammengerollte Trossen und Seile aller Art, die noch feucht vom Meerwasser waren. Er stieg noch weiter hinunter und kam in die secunda carina , einen Laderaum voller Kisten und Bündel verschiedener Art.
Dort fand er weitere Lebensmittel und weitere Fässer mit Süßwasser. Das musste ihn freuen, aber es freute ihn nur, weil es bedeutete, dass er seine Jagd noch lange fortsetzen konnte, mit der Lust, sie zu verzögern. Was nichts anderes ist als die Lust der
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