Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages
sie ist es nicht ...«
»Ihr seid uns glücklich zuvorgekommen, Colbert. Aber nehmen wir an, auch die Lösung von Morin ist keinen Pfifferling wert. Eh bien, unterstützen wir sie trotzdem, sorgen wir dafür, dass die Diskussion über seine Ideen wiederaufflammt, reizen wir die Neugier der Holländer: Geben wir ihnen etwas zu kosten, und wir haben die Gegner für einige Zeit auf eine falsche Fährte gelockt. In jedem Fall wird das Geld gut angelegt sein. Doch genug davon jetzt. Sprecht weiter, ich bitte Euch, damit, während San Patrizio lernt, auch ich etwas lerne.«
»Eure Eminenz hat mir alles beigebracht, was ich weiß«, sagte Colbert errötend, »aber Eure Güte ermutigt mich zu beginnen.« Und mit diesen Worten musste er sich auf vertrautem Boden fühlen: Er hob den Kopf, den er bisher immer gesenkt gehalten hatte, und trat gelöst an den Globus. »Meine Herren, im Ozean, wo man, auch wenn man auf ein Land stößt, nicht weiß, welches es ist, und wo man, wenn man zu einem bekannten Land fährt, viele Tage lang übers offene Meer fahren muss, im Ozean hat der Seefahrer keineanderen Bezugspunkte als die Sterne. Mit Instrumenten, die bereits die antiken Astronomen berühmt gemacht haben, bestimmt man die Höhe eines Gestirns über dem Horizont, errechnet daraus den Abstand vom Zenit, und nachdem man nun seine Deklination kennt – denn der Abstand vom Zenit plus oder minus die Deklination ergibt die Breite –, weiß man sofort, auf welchem Breitengrad man sich befindet oder, anders gesagt, wie weit nördlich oder südlich von einem bekannten Punkt. Ich denke, das ist klar.«
»Einem Kind verständlich«, sagte Mazarin.
»Man sollte nun meinen«, fuhr Colbert fort, »dass sich auf ähnliche Weise auch bestimmen ließe, wie weit östlich oder westlich desselben Punktes man sich befindet, also auf welchem Längengrad oder Meridian. Wie Johannes de Sacrobosco sagt, ist der Meridian ein Kreis, der durch die Pole unserer Welt und durch den Zenit über unserem Kopf geht. Und Meridian heißt er deshalb, weil es für jeden Menschen, gleich, wo er steht und in welcher Jahreszeit er sich befindet, wenn die Sonne durch seinen Meridian geht, Mittag ist. Doch leider, aufgrund eines Naturgeheimnisses, hat sich bisher jedes Mittel, das zur Bestimmung der Längengrade erdacht worden ist, als untauglich erwiesen. Was macht das schon, könnte der Laie fragen. Viel.«
Er gewann immer mehr Selbstvertrauen, drehte den Globus und zeigte die Umrisse von Europa: »Ungefähr fünfzehn Längengrade trennen Paris von Prag, etwas mehr als zwanzig trennen Paris von den Kanarischen Inseln. Was würdet Ihr von einem Heerführer sagen, dessen Heer am Weißen Berg zu kämpfen glaubte und, statt böhmische Protestanten niederzumetzeln, die Doktoren der Sorbonne an der Montagne Sainte-Geneviève erschlüge?«
Mazarin streckte lächelnd die Hände vor, wie um zu wünschen, dass solche Dinge nur auf dem richtigen Meridian geschehen.
»Das Drama ist jedoch«, fuhr Colbert fort, »dass Irrtümer von solcher Tragweite bei den Mitteln passieren, die wir nach wie vor benutzen, um die Längengrade zu bestimmen. Und so kam es zu dem, was vor bald einem Jahrhundert dem Spanier Mendaña passiert ist, der die Salomon-Inseln entdeckt hatte, eine vom Himmel mit reichen Früchten und Bodenschätzengesegnete Inselgruppe. Dieser Mendaña hatte die Lage des von ihm entdeckten Landes festgehalten, war nach Hause zurückgekehrt, um das Ereignis zu vermelden, in weniger als zwanzig Jahren wurden ihm vier Schiffe bereitgestellt, um erneut hinzufahren und die Herrschaft Ihrer Allerchristlichsten Majestäten, wie man in Spanien sagt, endgültig dort zu errichten, und was passierte? Mendaña konnte die Inseln nicht mehr finden! Die Holländer blieben nicht untätig, zu Anfang dieses Jahrhunderts gründeten sie ihre Ostindische Kompanie, erbauten die Stadt Batavia als Ausgangspunkt für viele Expeditionen nach Osten und berührten ein Neuholland, und andere Küsten, vermutlich im Osten der Salomon-Inseln, entdeckten derweilen englische Freibeuter, denen der Hof von Saint James daraufhin unverzüglich Adelspatente ausstellte. Jedoch von den Salomon-Inseln ist weit und breit keine Spur mehr zu finden, so dass manche verständlicherweise schon dazu neigen, sie für eine Legende zu halten. Aber, ob legendär oder nicht, Mendaña hat sie betreten, er hat nur ihre geographische Länge nicht richtig bestimmt. Und selbst wenn er sie mit der Hilfe des Himmels richtig
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