Die Insel Des Vorigen Tages
daß dieser Herr hier«, er pochte mit dem Finger auf eine Karte, »die Stadt Rom auf den dreißigsten Meridian östlich von dem der Kanarischen Inseln legt, während dieser andere hier«, und er bewegte den Finger, als wollte er den Zeichner der anderen Karte väterlich tadeln, »Rom auf den vierzigsten Längengrad legt! Und dieses Manuskript hier enthält den Bericht eines Flamen, der es faustdick hinter den Ohren hatte und den König von Spanien darauf hinwies, daß man sich über die Entfernung zwischen Rom und Toledo nie einig geworden sei, por los errores tan enormes, como se conoce por esta linea, que muestra la diferencia de las distancias et cetera et cetera, das heißt ›wegen der enormen Fehler, wie man aus dieser Linie ersieht, die den Unterschied der Entfernungen anzeigt‹. Seht diese Linie hier: Wenn man den ersten Meridian auf Toledo legt - die Spanier meinen ja immer, sie lebten in der Mitte der Welt -, dann wäre Rom für Mercator zwanzig Grad weiter östlich, aber zweiundzwanzig für Ticho Brahe, fast fünfundzwanzig für Regiomontanus, siebenundzwanzig für Clavius, achtundzwanzig für den guten Ptolemäus und für Origanus sogar dreißig. So viele Fehler allein bei der Entfernung von Rom nach Toledo. Und nun stellt Euch vor, was dann erst auf Routen wie dieser unseren passiert, wo wir manche Inseln vielleicht als erste entdeckt haben und jedenfalls die Berichte der anderen Reisenden sehr vage sind. Und nehmt hinzu, daß ein Holländer, wenn er korrekte Erhebungen gemacht hat, es den Engländern nicht mitteilen wird, ebensowenig wie diese den Spaniern. Auf diesen Meeren hier zählt nur die Nase des Kapitäns, der mit seinem kümmerlichen Log zu dem Schluß kommt, er befinde sich auf dem, sagen wir, zweihundertzwanzigsten Meridian, und dabei ist er womöglich dreißig Grad weiter westlich oder östlich.«
»Aber dann«, erkannte der Malteserritter, »Wäre der, der ein sicheres Mittel zur Bestimmung der Meridiane erfände, der Herr der Meere!«
Byrd errötete von neuem, starrte ihn an, wie um herauszufinden, ob er mit seiner Rede eine Absicht verfolgte, und grinste dann breit, als ob er ihn beißen wollte: »Versucht Ihr’s doch mal!«
»O je, ich geb’s auf«, sagte Roberto und hob entsagungsvoll die Hände. Und für jenen Abend endete die Unterhaltung mit viel Gelächter.
Viele Tage lang hielt Roberto es für angebracht, das Gespräch nicht mehr auf die Längengrade zu bringen. Er wechselte das Thema, und um das zu können, traf er eine mutige Entscheidung. Er schnitt sich mit einem Messer in einen Handballen. Dann verband er die Hand mit den Resten eines Hemdes, das von Wind und Wasser zerfetzt worden war. Am Abend zeigte er die Wunde dem Doktor: »Ich bin wirklich ein Trottel, ich hatte das Messer blank in der Tasche, und da habe ich mich, als ich nach etwas suchte, geschnitten. Es tut sehr weh.« Doktor Byrd untersuchte die Wunde mit Kennerblick, und Roberto betete: Herrgott, mach, daß er eine Schüssel auf den Tisch stellt und Vitriol darin auflöst! Statt dessen sagte Byrd nur, das scheine ihm nicht sehr schlimm zu sein, und riet ihm, die Wunde am nächsten Morgen gut auszuwaschen. Zum Glück kam jedoch der Malteserritter zu Hilfe: »Tjaja, jetzt bräuchte man das Unguentum armarium!«
»Und was bitte ist das?« fragte Roberto. Und der Malteser, als hätte er sämtliche Bücher gelesen, die Roberto unterdes kannte, hob an, die Wunderkräfte jener Substanz zu preisen. Byrd schwieg. Da warf Roberto, nach dem schönen Wurf des Maltesers, nun seinerseits die Würfel: »Das sind doch Ammenmärchen! Wie die Geschichte von der schwangeren Frau, die ihren Geliebten geköpft sah und daraufhin ein Kind mit abgetrenntem Kopf gebar. Oder die von den Bäuerinnen, die, um den Hund zu bestrafen, der in die Küche gekackt hat, ein brennendes Holzscheit nehmen und es in die Kacke stoßen, damit der Hund es an seinem Hinterteil brennen fühlt! Lieber Herr Ritter, ich bitte Euch, welcher vernünftige Mensch glaubt denn an solche Histörchen?«
Er hatte ins Schwarze getroffen, Byrd konnte nicht mehr länger schweigen. »O nein, mein Herr, die Geschichte mit dem Hund und seiner Kacke ist derart wahr, daß sogar jemand das gleiche mit einem Herrn gemacht hat, der ihm aus Verachtung vors Haus gekackt hatte, und ich versichere Euch, der Betreffende hat jenen Ort fürchten gelernt! Natürlich muß man die Operation viele Male wiederholen, und infolgedessen braucht man einen Freund oder Feind, der einem
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