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Die Insel Des Vorigen Tages

Die Insel Des Vorigen Tages

Titel: Die Insel Des Vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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unter der Wasserlinie und ohne passierbare Öffnung, eine Barriere, ein Bollwerk, ein Wall aus Korallen verlief -
    also das, was wir heute ein Korallenriff nennen würden. Nach vielen vergeblichen Versuchen hatten die Männer der Daphne schließlich entdeckt, daß sie um das Kap im Süden der Bucht herumfahren mußten, hinter dem es eine Stelle gab, wo man landen konnte. »Und eben darumb können wir das Boot, das verlassen ward von seinen Mannen, jetzo nit sehn, wiewol es gewißlich allweil noch dorten lieget, heu me miserum! « Aus der Art, wie Roberto die Reden von Pater Caspar wiedergibt, ist zu schließen, daß dieser deutsche Jesuit, der in Rom lebte und mit seinen Ordensbrüdern aus aller Herren Länder gewöhnlich lateinisch sprach, sich etwas eigenwillig ausdrückte.
    Nachdem die Specula installiert worden war, begann der Pater mit seinen Untersuchungen, die er fast zwei Monate lang erfolgreich fortsetzte. Und was tat unterdessen die Mannschaft? Sie lag auf der faulen Haut, und die Disziplin an Bord ließ immer mehr nach. Der Kapitän hatte etliche Branntweinfäßchen geladen, die nur sehr sparsam zur Stärkung während der Stürme gebraucht werden sollten oder als Tauschware für die Eingeborenen; statt dessen fing die Mannschaft an, sie an Deck zu bringen, entgegen jedem Befehl, und alle begannen zu trinken, auch der Kapitän. Pater Caspar ging seiner Arbeit auf der Insel nach, die Männer ließen sich vollaufen, und ihr wüstes Gegröle war bis zur Specula zu hören.
    Eines Tages, als es sehr heiß war, hatte sich Pater Caspar, während er allein an der Specula arbeitete, seine Kutte ausgezogen (er habe sich, sagte der gute Jesuit voller Scham, gegen die Modestia versündigt, was ihm Gott aber jetzo vergeben könne, nachdem er es ja sogleich bestraft habe!) und war von einem Insekt in die Brust gestochen worden. Zuerst hatte er nur einen Stich verspürt, aber kaum war er an jenem Abend an Bord zurückgekehrt, überfiel ihn ein heftiges Fieber. Er sagte niemandem etwas von dem Zwischenfall, in der Nacht bekam er Ohrensausen und heftige Kopfschmerzen, der Kapitän machte ihm die Kutte über der Brust auf, und was sah er? Eine Pustel, wie sie nach einem Wespenstich auftreten kann, was sage ich, sogar schon nach dem Stich einer etwas größeren Mücke.
    Doch sofort war jene leichte Schwellung in den Augen des Kapitäns zu einem Carbunculus, einer Schwäre, einer brandigen Beule geworden, also zum evidentesten Symptom jener Krankheit, »die man Beulenpest nennt«, quae dicitur pestis bubonica , wie er sofort im Logbuch vermerkte.
    Panik verbreitete sich an Bord. Vergebens erzählte Pater Caspar von dem Insekt: Der Pestbefallene lügt immer, um nicht isoliert zu werden, das weiß man doch. Vergebens beteuerte er, daß er die Pest gut kenne und daß dies aus vielen Gründen keine Pest sein könne. Die Mannschaft hätte ihn am liebsten ins Meer geworfen, um die Ansteckungsgefahr zu beseitigen.
    Er versuchte zu erklären, daß er während der großen Pest, die vor rund zwölf Jahren in Mailand und ganz Norditalien gewütet habe, zusammen mit anderen Ordensbrüdern in die Lazarette geschickt worden sei, um Hilfe zu leisten und das Phänomen aus der Nähe zu studieren; daß er also einiges über diese Seuche wisse. Es gebe Krankheiten, die nur einzelne Individuen an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten befielen, wie der Sudor Angelicus, andere, die nur in einer bestimmten Region auftreten, wie die Dysenteria Melitensis in Malta oder die Elephantiasis Aegyptia am Nil, und schließlich andere wie die Pest, die während einer langen Zeit alle Einwohner vieler Regionen befielen. Aber die Pest werde im voraus angekündigt durch Sonnenflecken, Sonnenfinsternisse, Kometen, durch das Auftauchen unterirdischer Tiere, die aus ihren Löchern kämen, oder durch Pflanzen, die im Pesthauch verwelkten, und keines von diesen Vorzeichen sei in letzter Zeit aufgetreten, weder an Bord noch an Land, weder am Himmel noch im Meer.
    Des weiteren werde die Pest mit Sicherheit durch üble Ausdünstungen hervorgerufen, die aus den Sümpfen stiegen, durch die Verwesung vieler Leichen während der Kriege oder sogar durch den Einfall von Heuschrecken, die scharenweise im Meer ertränken und dann in die Flüsse zurückflössen. Die Ansteckung komme durch diese Ausdünstungen zustande, die in den Mund gelangten und von dort in die Lunge und durch die Hohlvene schließlich ins Herz. Aber während der Reise hätten die Männer außer an

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