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Die Insel Des Vorigen Tages

Die Insel Des Vorigen Tages

Titel: Die Insel Des Vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Leib in ein Gewand gehüllt, das einmal schwarz gewesen sein mochte, aber nun mit verblichenen Flecken gespuckt war.
    Die Pistole vorstreckend, die er mit zitternden Händen umklammert hielt, als wollte er sich daran festhalten, rief er etwas mit schwacher Stimme. Das erste war etwas auf deutsch oder holländisch, das zweite - und sicher wiederholte er, was er sagen wollte - in einem ungelenken Italienisch, was darauf hindeutete, daß er die Herkunft seines Gegenübers durch die Lektüre seiner Papiere erraten hatte.
    »Keine Bewegung, oder ich schieß’!«
    Roberto war so überrascht von der Erscheinung, daß er zunächst gar nicht reagierte. Was gut war, denn so hatte er Gelegenheit zu bemerken, daß der Hahn der Pistole nicht gespannt war. Der Feind konnte also nicht sehr erfahren in den Kriegskünsten sein.
    So trat Roberto langsam näher, ergriff die Pistole am Lauf und versuchte sie dem alten Mann zu entwinden, der in wütende teutonische Schreie ausbrach.
    Schließlich hatte er ihm die Waffe entrissen, der Alte sank resigniert in sich zusammen, Roberto kniete sich neben ihn und hob seinen Kopf.
    »Mein Herr«, sagte er, »ich will Euch nichts tun. Ich bin ein Freund. Versteht Ihr? Amicus!«
    Der Alte klappte den Mund auf und zu, aber ohne etwas zu sagen; man sah nur das Weiß seiner Augen beziehungsweise das Rot, und Roberto fürchtete schon, er werde sterben. Er nahm ihn auf die Arme und trug ihn, leicht wie er war, hinauf in die Kapitänskajüte. Dort bot er ihm Wasser an, gab ihm auch einen Schluck Branntwein zu trinken, der Alte sagte: »Gratias ago, domine« und hob die Hand, wie um ihn zu segnen. Und da bemerkte Roberto, sein Gewand genauer betrachtend, daß er ein Ordensmann war.
    Heilige Theorie der Erde
    Wir werden nicht versuchen, den Dialog zu rekonstruieren, der in den beiden nächsten Tagen folgte.
    Auch weil Robertos Aufzeichnungen von nun an lakonischer werden. Nachdem seine privaten Briefe an die Signora vielleicht einem Fremden unter die Augen gekommen waren (er hatte nicht den Mut, seinen neuen Gefährten danach zu fragen), hörte er für viele Tage auf zu schreiben und notierte sich nur noch in Stichworten, was er Neues gelernt hatte und was geschah.
    Wohlan denn: Roberto stand vor Pater Caspar Wanderdrossel aus dem Orden der Societas Jesu, olim in Herbipolitano Franconiae Gymnasio, postea in Collegio Romano Matheseos Professor, aber auch Astronom und Gelehrter in vielen anderen Disziplinen, zur Kurie des Ordensgenerals gehörig. Die Daphne hatte, befehligt von einem holländischen Kapitän, der diese Route schon für die Vereenigte Oost-Indische Compagnie ausprobiert hatte, viele Monate zuvor die mediterranen Küsten verlassen und Afrika umsegelt, um die Salomon-Inseln zu erreichen. Genauso wie es Doktor Byrd mit der Amarilli vorgehabt hatte, nur daß die Amarilli - wie einst Kolumbus - »den Osten über den Westen suchen«
    wollte, während die Daphne es umgekehrt gemacht hatte, aber das kommt am Ende aufs selbe hinaus, denn die Antipoden erreicht man von beiden Seiten. Auf der Insel (und Pater Caspar deutete zu den grünen Hängen jenseits des Strandes hinüber) sollte ein Gerät namens Specula Melitensis installiert werden. Was für ein Gerät das war, wurde Roberto nicht klar, denn der Pater sprach darüber nur raunend, wie über ein derart berühmtes Geheimnis, daß die ganze Welt davon sprach.
    Um dahin zu gelangen, wo sie war, hatte die Daphne beträchtliche Zeit gebraucht. Man weiß, wie damals jene Meere befahren wurden. Nachdem sie die Molukken verlassen hatte, um in südöstlicher Richtung zum Hafen Sankt Thomae auf Neuguinea zu segeln - denn sie mußte die Orte berühren, an denen die Gesellschaft Jesu ihre Missionen hatte -, war sie durch einen Sturm vom Kurs abgekommen, war in unbekannte Meere geraten und schließlich zu einer Insel gelangt, deren Bewohner kindsgroße Ratten mit überlangem Schwanz und einem Beutel am Bauch waren, von denen Roberto ein ausgestopftes Exemplar gesehen hatte (und Pater Caspar machte ihm Vorwürfe dafür, daß er »ein Wunder, kostbar wie ein gantzes Peru«, ins Meer geworfen hatte).
    Es seien zutrauliche Tiere gewesen, erzählte Pater Caspar, sie hätten die Ankömmlinge umringt und ihnen kleine Händchen entgegengestreckt, wie um etwas Eßbares zu erbetteln, und hätten sie sogar an den Kleidern gezupft, aber dann hätten sie sich als Meisterdiebe erwiesen und einem Matrosen den Zwieback aus der Tasche gestohlen.
    Es sei mir erlaubt, zur

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