Die Insel Des Vorigen Tages
Weile waren sie mit Kränzen aus Blumen und Blättern wieder erschienen und hatten sie mit Gesten der Ehrfurcht ins Wasser geworfen, dann hatten sie Kurs nach Südwesten genommen und waren hinter der fernen Insel verschwunden. Sie hatten dem großen zornigen Tier entrichtet, was sie für einen ausreichenden Tribut hielten, und würden sich bestimmt nie wieder blicken lassen: Sie waren zu dem Schluß gekommen, daß die Gegend von einem leicht reizbaren und rachsüchtigen Wesen heimgesucht wurde.
Soweit die Geschichte von Pater Caspar Wanderdrossel. Noch über eine Woche lang, vor der Ankunft Robertos, hatte er sich krank gefühlt, aber dank einiger Medikamente eigener Rezeptur (»Spiritus, Olea, Flores, und andere dergleichen Vegetabilische, Animalische und Mineralische Medicamenten«) war er schon auf dem Wege der Besserung, als er eines Nachts auf dem Deck Schritte hörte.
Von da an war er wieder krank geworden, nun aus Angst, hatte seine Kajüte verlassen und sich in jenes enge Loch im Heck geflüchtet, unter Mitnahme seiner Medikamente sowie einer Pistole, von der er jedoch nicht einmal herauszufinden vermochte, ob sie geladen war. Und hatte sein Versteck nur verlassen, um sich Nahrung und Wasser zu holen. Zuerst hatte er die Eier gestohlen, um wieder zu Kräften zu kommen, dann hatte er sich mit Früchten begnügt. Allmählich war er zur Überzeugung gelangt, daß der Eindringling (in Pater Caspars Erzählung war der Eindringling natürlich Roberto) ein gebildeter Mensch sein mußte, der sich für das Schiff und seinen Inhalt interessierte, und hatte schon zu erwägen begonnen, daß er vielleicht gar kein Schiffbrüchiger war, sondern der Agent eines häretischen Landes, das die Geheimnisse der Specula Melitensis in Erfahrung bringen wollte. Deswegen hatte der gute Pater dann schließlich begonnen, sich so kindisch zu benehmen: in der Hoffnung, Roberto dadurch von diesem Gespensterschiff zu vergraulen.
Danach war es an Roberto, seine Geschichte zu erzählen, und da er nicht wußte, wieviel Pater Caspar von seinen Briefen gelesen hatte, erzählte er vor allem von seiner Mission und von der Reise der Amarilli . Das geschah am Abend jenes Tages, als sie sich ein Hähnchen gebraten und die letzte der Flaschen des Kapitäns entkorkt hatten. Pater Caspar mußte wieder zu Kräften kommen und seine Lebensgeister auffrischen, und so feierten sie, was ihnen beiden nun als eine Rückkehr in die menschliche Gesellschaft erschien.
»Ridiculus!« kommentierte Pater Caspar die unglaubliche Geschichte von Doktor Byrd. »Von solcherley Bestialitate hab ich noch niemahls gehört. Warumb haben sie der armen Creatura solch Leydes gethan? Alles dacht ich schon gehört zu haben über das Geheimnuß der Longitudines, aber noch nie, daß man es könnt finden durch den Gebrauch von Unguentum armarium! Wann das möglich wär, hätt es gewiß schon ein Jesuit erfunden! Das hat nix zu thun mit den Longitudines, ich will dir erklären, was vor ein Werck ich verrichte, dann siehest du, wie gantz anderst das ist ...«
»Aber in summa«, fragte Roberto, »wart Ihr auf der Suche nach den Salomon-Inseln, oder wolltet Ihr das Geheimnis der Längengrade finden?«
»Beydes, mein Sohn, beydes zugleich! Findstu die Insulae Salomonis, weißtu, wo der hundertundachtzigste Meridian ist, und findstu den hundertundachtzigsten Meridian, weißtu, wo des Salomonis Insulae sind.«
»Warum müssen denn diese Inseln unbedingt auf diesem Meridian liegen?«
»O mein Gott, der HErr im Himmel vergebe mir, daß ich Sein’ Allerheyligsten Namen unnütz im Munde gefüret. Doch zum Ersten: Nachdem König Salomo seinen Tempel erbauet, hatte er auch eine große Flotte gebaut, wie berichtet im Buche der Könige, und diese Flotte ist zur Insel Ophir gelangt, von wo sie ihm vierhundertundzwanzig Talente Goldes gebracht, was ein sehr gewaltiger Reichthum ist: die Biblia sagt sehr Weniges, um sehr Vieles zu sagen, wie wann man saget pars pro toto . Und kein Land in Israels Nachbarschafft hatte solch grossen Reichthum, was bedeutet, daß diese Flotte muß angelanget gewesen seyn am Ultimo Confinio Mundi. Hier.«
»Wieso hier?«
»Weil hiero der hundertundachtzigste Meridian verlauffet, der justament selbiger ist, welcher die Erde zweyteilet, und auff der anderen Seite verlauffet der Erste Meridian: Du zehlst eins, zwey, drey, et cetera bis dreyhundertundsechzig Meridian-Grade, und wann du bist bey hundertundachtzig, ist hier Mittnacht und beym Ersten dorten ist
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