Die Insel Des Vorigen Tages
der jedesmal nur eine einzige flammenfarbene Kugel zum Himmel hatte emporschießen sehen oder immer nur ein Pärchen zwischen den hohen Blättern, konnte es durchaus sein, daß es auf der Insel nur zwei solcher Tauben gab und daß nur eine davon flammenfarben war. Die Vorstellung machte Roberto rasend vor Verlangen nach jener einmaligen Schönheit - die, wenn sie auf ihn wartete, immer schon seit dem vorigen Tag auf ihn wartete.
Im übrigen, wenn er bereit sei, stundenlang mit dem Fernrohr hinüberzustarren, sagte Pater Caspar, könne er sie auch vom Schiff aus sehen. Vorausgesetzt, daß er sich diese rußgeschwärzten Augengläser abnehme. Als Roberto erwiderte, daß seine Augen ihm das nicht erlaubten, machte der Pater ein paar abfällige Bemerkungen über jene alberne Weiberkrankheit und empfahl die Tinktur, mit der er seine Beule kuriert habe (Spiritus, Olea, Flores).
Es wird nicht recht klar, ob Roberto die Tinktur benutzt hat, ob er sich allmählich daran gewöhnte, ohne Augengläser zu sehen, zuerst in der Dämmerung und dann auch tagsüber, oder ob er sie noch trug, als er, wie noch zu berichten sein wird, schwimmen zu lernen versuchte. Tatsache ist, daß er seine Augen von diesem Moment an nicht mehr erwähnt, um irgendeine Flucht oder Abwesenheit zu rechtfertigen. So daß wir annehmen dürfen, daß er nach und nach, vielleicht durch die heilende Wirkung jener balsamischen Lüfte oder des Meerwassers, von seinem Leiden genesen war - einem Leiden, das ihn, ob echt oder vorgetäuscht, seit über zehn Jahren zu einem quasi lykomanen Nachttier gemacht hatte (wenn der Leser nicht geradezu insinuieren will, daß ich ihn von jetzt an fulltime auf Deck haben will und, da ich in seinen Papieren keine Dementis finde, ihn mit auktorialer Arroganz von seinem Übel befreie).
Aber vielleicht wollte Roberto genesen, um, koste es, was es wolle, die Taube zu sehen. Und sicher hätte er sich auch sofort mit dem Fernglas an die Bordwand gestürzt, um den ganzen Tag lang die Baumwipfel abzusuchen, wäre er nicht durch ein anderes ungelöstes Problem abgelenkt worden.
Am Ende seiner Beschreibung der Insel und ihrer Reichtümer hatte Pater Caspar abschließend bemerkt, so viele höchst ergötzliche Dinge könnten nirgendwo anders als auf dem Meridian der Antipoden zu finden sein. Worauf ihn Roberto gefragt hatte: »Aber hochwürdiger Vater, Ihr sagtet, die Specula Melitensis habe Euch bestätigt, daß wir uns auf dem Meridian der Antipoden befinden, und ich will es Euch glauben. Aber Ihr seid nicht hingegangen, um diese Specula auf jeder Insel zu installieren, der Ihr im Verlauf Eurer Reise begegnet seid, sondern nur auf dieser hier. Also mußtet Ihr doch schon irgendwie sicher sein, noch bevor die Specula es Euch sagte, daß Ihr auf dem gesuchten Meridian angelangt wart!«
»Da denckst du sehr richtig. Wann ich hier angelangt wär, ohne zu wissen, daß hier hier war, hätt ich nit wissen können, daß ich angelangt war... Schon gut, ich erklärs dir: Sintemal ich wußte, daß die Specula das einzig richtige Instrumentum war, mußte ich, um dahinn zu gelangen, wo man die Specula prüfen kann, falsche Methoden gebrauchen. Und das habe ich gethan.«
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Als Roberto ungläubig dreinschaute und behauptete, er wisse, wie viele Methoden zur Berechnung der Längengrade es gebe und daß sie alle nutzlos seien, erwiderte Pater Caspar, sie seien zwar alle falsch, wenn man sie jeweils einzeln nehme, aber alle zusammengenommen, könne man ihre verschiedenen Ergebnisse bilanzieren und ihre jeweiligen Mängel kompensieren. »Und das ist Mathematica!«
Gewiß, eine Uhr zeige nach Tausenden von Meilen nicht mehr zuverlässig die Zeit des Ausgangspunktes.
Aber viele verschiedene Uhren, einige von spezieller und akkurater Bauart, wie sie Roberto auf der Daphne entdeckt hatte? Du vergleichst die ungenauen Zeitangaben, kontrollierst jeden Tag die Antworten der einen auf die Behauptungen der anderen, und eine gewisse Sicherheit kriegstu schon.
Das Log oder Schiffchen oder wie immer das heiße? Die gewöhnlichen funktionierten nicht, aber Pater Caspar hatte ein besonderes konstruiert: ein Kästchen mit zwei senkrechten Drehstäben, von denen einer eine Schnur auf- und der andere abwickelte, deren Länge einer bestimmten Anzahl von Meilen entsprach; und der aufwickelnde Stab hatte oben viele Schäufelchen, die sich wie bei einer Mühle drehten unter dem Impuls derselben Winde, die auch die Segel blähten, und seine
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