Die Insel Des Vorigen Tages
strömten sie in die Bucht hinunter.
»Jakobspilger«, sagte er verächtlich zu Biscarat. »Und von der schlimmsten Sorte, oder der unglücklichsten, denn sie gehen ihr Heil suchen, während sie schon mit einem Fuß im Grabe stehen.«
Tatsächlich kamen die Pilger in langer Reihe immer näher, schon sah man eine dichte Schar von Blinden mit vorgestreckten Armen, von Verstümmelten auf ihren Krücken, von Aussätzigen, Triefäugigen, Wundbrandigen, an Krätze und Skrofulose Leidenden, eine Versammlung von Krüppeln, Hinkenden und Verunstalteten, in Lumpen gekleidet.
»Ich möchte nicht, daß sie uns zu nahe kommen und dann womöglich um ein Nachtquartier bitten«, sagte Biscarat. »Sie würden uns nur Dreck hereinbringen.« Und er ließ ein paar Musketenschüsse in die Luft abgeben, um deutlich zu machen, daß diese Festung kein gastlicher Ort war.
Aber es war, als ob die Schüsse als Einladung gedient hätten. Während hinten weitere Gestalten nachdrängten, kamen die ersten immer näher zum Fort, und schon war ihr tierisches Gestammel zu hören.
»Haltet sie fern, Herrgott!« rief Biscarat und ließ Brot vor die Mauern werfen, wie um zu sagen, dies sei die Mildtätigkeit des Ortskommandanten und mehr sei nicht zu erwarten. Doch die zusehends größer werdende Menge schob ihre Vorhut unter die Mauern, wo sie die milde Gabe zertrat und wie Besseres suchend nach oben spähte.
Jetzt konnte man die einzelnen Gesichter erkennen, und sie sahen überhaupt nicht wie Pilger aus, auch nicht wie Krüppel, die um Linderung ihrer Gebrechen baten. Zweifellos, meinte Biscarat sorgenvoll, seien es Zukurzgekommene, rasch zusammengetrommelte Glücksritter. Oder so schien es jedenfalls, aber nicht mehr lange, denn inzwischen hatte es zu dämmern begonnen, und die ganze Ebene bis zu den Dünen war nur noch ein einziges graues Gedränge.
»Zu den Waffen, zu den Waffen!« rief Biscarat, der jetzt begriff, daß es sich nicht um Pilgerfahrt oder um Bettelei handelte, sondern um einen Angriff. Er ließ einige Schüsse auf die Vordersten abgeben, die schon die Mauer berührten. Aber es war, als hätte er in eine Horde Ratten geschossen, die Nachdrängenden stießen die Vorderen weiter, die Gefallenen wurden überrannt und als Rampe zum Aufstieg benutzt, schon sah man die ersten in die Ritzen des alten Mauerwerks greifen, die Finger in die Spalten schieben, die Füße auf die Vorsprünge stellen, sich an die Gitterstäbe der ersten Fenster klammern, die ausgezehrten Glieder in die Schießscharten zwängen. Derweil brandete unten ein anderer Teil jener Flut heran und rammte mit rhythmischen Schulterstößen gegen das Tor.
Biscarat hatte es zwar von innen verbarrikadieren lassen, aber die schweren Torflügel knackten schon unter dem Druck jenes Pöbelhaufens.
Die Wachen fuhren fort zu schießen, aber die wenigen niedergestreckten Angreifer wurden sofort von anderen überrannt, man sah jetzt nur noch eine wimmelnde Masse, aus der sich an einem bestimmten Punkt etwas wie emporgeschleuderte Angelschnüre erhob, und bald erkannte man, daß es eiserne Enterhaken waren, von denen sich einige auch schon an den Zinnen verhakten. Doch kaum beugte ein Wachmann sich nur ein wenig hinaus, um jene gebogenen Eisen abzulösen, wurde er von den ersten Angreifern, die schon hinaufgelangt waren, mit Spießen und Stangen bearbeitet oder gar mit Schlingen gefangen und nach unten gerissen, wo er im Gewühl jener rasenden Meute verschwand, ohne daß man noch das Röcheln des einen vom Röhren der anderen unterscheiden konnte.
Kurz, wer das Geschehen von den Dünen aus verfolgt hätte, der hätte das Fort inzwischen kaum noch gesehen, nur noch ein Wimmeln von Fliegen auf einem Aas, ein Krabbeln von Bienen auf einer Wabe, ein wütendes Hornissengeschwader.
Unterdessen hörte man von unten das Krachen des berstenden Tors und den Lärm im Hof. Biscarat und seine Leute eilten zur anderen Seite des Turms - und achteten nicht auf Ferrante, der sich in den Rahmen der Treppentür drückte, nicht sehr verängstigt, da er schon ahnte, daß diese Angreifer irgendwie seine Freunde waren.
Seine Freunde hatten inzwischen die Zinnen erreicht und überklettert, fielen freigebig ihr Leben opfernd unter den letzten Musketenschüssen, überwanden ihrer Leiber nicht achtend die Barriere der vorgestreckten Degen und erschreckten die Wachen mit ihren abstoßenden Augen und entstellten Gesichtern. So ließen die Leibgardisten des Kardinals, sonst Männer von Eisen, ihre Waffen
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