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Die Insel Des Vorigen Tages

Die Insel Des Vorigen Tages

Titel: Die Insel Des Vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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nur in Märchen, und Ferrante war keiner, der sich auf Märchenerzähler verläßt. Vielleicht war die Taube von einem Jäger getroffen worden und hatte, als sie in die Zweige eines Baumes fiel, die Botschaft verloren
    ...
    Er wußte nicht, daß sie statt dessen auf die Leimrute eines Bauern gegangen war, der einen Nutzen aus dem zu ziehen gedachte, was allem Anschein nach ein Signal für jemanden war, vielleicht für den Kommandanten einer Armee.
    So brachte der Bauer die Botschaft zu dem einzigen des Lesens kundigen Menschen in seinem Dorf, nämlich zum Pfarrer, und der kümmerte sich um alles weitere. Er machte die Signora ausfindig und schickte einen Freund, die Übergabe auszuhandeln und sich ein großzügiges Almosen für seine Kirche sowie ein Handgeld für den Bauern auszahlen zu lassen. Lilia las, weinte und wandte sich ratsuchend an treue Freunde. Das Herz des Kardinals rühren? Nichts leichter als das für eine schöne Hofdame, aber diese Dame verkehrte im Salon der Arthénice, der Mazarin mißtraute. Schon zirkulierten satirische Verse über den neuen Minister, von denen gemunkelt wurde, sie stammten aus ebenjenem Salon. Eine Précieuse , die zum Kardinal geht, um Gnade für einen Freund zu erbitten, verurteilt diesen Freund zu einer noch schwereren Strafe.
    Nein, sie mußte ein Häufchen mutiger Männer versammeln und mit ihnen einen Handstreich wagen.
    Doch an wen sollte sie sich wenden?
    Hier wußte Roberto nicht weiter. Wenn er ein Musketier des Königs gewesen wäre oder einer von den Gascogner Kadetten, hätte Lilia sich bloß an diese kühnen und für ihren Korpsgeist berühmten Männer zu wenden brauchen. Aber wer riskiert schon den Zorn eines Ministers oder gar den des Königs wegen eines Ausländers, der mit Bibliothekaren und Astronomen verkehrt? Von diesen Bibliothekaren und Astronomen selbst ganz zu schweigen, denn bei aller Entschlossenheit zu einem Roman konnte Roberto sich nun wirklich nicht vorstellen, daß etwa der Kanonikus von Digne oder der Monsignor Gaffarel in gestrecktem Galopp zu seinem Gefängnis ritt - das heißt zu dem von Ferrante, der ja nun für alle Roberto war.
    Einige Tage später kam ihm eine Idee. Er hatte die Ferrante-Geschichte liegengelassen und sich wieder darangemacht, das Korallenriff zu erkunden. An jenem Tag verfolgte er einen Schwarm Fische, die gelbe Sturmhauben auf der Nase hatten und wie umherschweifende Krieger aussahen. Sie schwammen gerade in einen Spalt zwischen zwei steinernen Türmen, wo die Korallenbauten wie zerfallene Paläste einer untergegangenen Stadt aussahen.
    Roberto stellte sich vor, daß diese Fische zwischen den Ruinen jener sagenhaften Stadt Ys umherschwammen, von der er hatte erzählen hören, sie liege immer noch wenige Meilen vor der bretonischen Küste auf dem Meeresgrund, wo die Wellen sie einst überflutet hatten. Da, der größte Fisch dort war der einstige König jener Stadt, gefolgt von seinen Würdenträgern, und alle überboten sich gegenseitig auf der Suche nach ihrem vom Meer verschlungenen Schatz ...
    Doch warum eine alte Sage ausgraben? Warum die Fische nicht als Bewohner einer Welt betrachten, die ihre eigenen Wälder, Berge, Bäume und Täler hat und nichts von der Welt oben weiß? In gleicher Weise leben wir auf der Erde, ohne zu wissen, daß der hohle Himmel andere Welten verbirgt, in denen die Leute nicht gehen oder schwimmen, sondern fliegen oder durch die Luft segeln; wenn das, was wir Planeten nennen, die Rümpfe ihrer Schiffe sind, von denen wir nur die schimmernden Böden sehen, warum dann nicht annehmen, daß diese Kinder Neptuns in gleicher Weise über sich nur die Schatten unserer Galeonen sehen und sie für ätherische Körper halten, die an ihrem wäßrigen Firmament kreisen?
    Und wenn es möglich ist, daß es Wesen gibt, die unter Wasser leben, warum sollte es dann nicht auch Wesen geben, die unter der Erde leben, Völker von Salamandern, die fähig sind, durch ihre Gänge vorzudringen bis zum inneren Feuer, das den Planeten beseelt?
    In solche Gedanken versunken, erinnerte sich Roberto an eine Argumentation von Saint-Savin: Wir halten es für schwierig, auf dem Mond zu leben, da wir meinen, dort gebe es kein Wasser, aber vielleicht gibt es dort Wasser in unterirdischen Hohlräumen, und die Natur hat Brunnen auf dem Mond gegraben, welche die Flecken sind, die wir sehen. Wer sagt denn, daß die Bewohner des Mondes nicht Unterschlupf in jenen Nischen finden, um der unerträglichen Nachbarschaft der Sonne zu

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