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Die Insel Des Vorigen Tages

Die Insel Des Vorigen Tages

Titel: Die Insel Des Vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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verdunkeln, denn eine Selene, die ach! zuviel vom Licht ihrer Sonne genossen, während sie ihre Reise hinter der letzten Krümmung unseres Planeten vollendet, beraubt der Hilfe durch die Strahlen des sie beherrschenden Astrums, verdünnt sich erst zum Bildnis der Sichel, die den Lebensfaden abschneidet, und löst sich alsdann, eine matter und matter werdende Leuchte, zur Gänze in jenem großen wächsernen Himmelsschild auf, in dem die ingeniöse Natur heroische Devisen und rätselhafte Embleme ihrer Geheimnisse bildet. Eures Blickes beraubt, bin ich blind, da Ihr mich nicht sehet , und stumm, da Ihr nicht zu mir redet, und ohne Gedächtnis, da Ihr nicht meiner gedenket.
    Und ich lebe nur, brennende Trübnis und düstere Flamme, als vages Phantasma, welches mein Geist, immer gleich gestaltend in diesem widrigen Streit der Gegensätze, so gern dem Euren darbieten würde. Mein Leben rettend in dieser hölzernen Burg, in dieser schwimmenden Festung, in diesem Gefängnis des Meeres, das vor dem Meer mich bewahrt, bestraft von des Himmels Gnade, verborgen in diesem tiefuntersten Sarkophage, der offen für alle Sonnen, in diesem unterirdischen Luftschiff, in diesem unüberwindlichen Kerker, der mich allseits zur Flucht ermuntert, verliere ich langsam die Hoffnung, Euch eines Tages wiederzusehen.
    Signora, ich schreibe Euch, um Euch, als unwertes Zeichen der Huldigung, die welke Rose meiner Trostlosigkeit anzubieten. Und doch erfüllt mich meine Demütigung mit Stolz, und da zu solchem Privilegio verdammt, erfreue ich mich nun gleichsam einer verabscheuten Rettung: Ich glaube, ich bin seit Menschengedenken das einzige Wesen unsrer Gattung, das schiffbrüchig ward geworfen auf ein verlassenes Schiff.

    Aber ist das überhaupt möglich? Nach dem Datum auf diesem ersten Brief zu schließen, müßte Roberto sich gleich nach seiner Ankunft ans Schreiben gemacht haben, kaum daß er Papier und Feder in der Kapitänskajüte gefunden hatte. Dabei muß es doch einige Zeit gedauert haben, bis er wieder zu Kräften kam, denn er war geschwächt wie ein verwundetes Tier. Oder ist es vielleicht eine kleine Liebeslist: Zuerst versucht er sich klarzumachen, wohin er geraten ist, dann schreibt er und tut so, als wäre es vorher. Warum aber, wo er doch weiß, vermutet, fürchtet, daß seine Briefe nie ankommen werden, und sie nur schreibt, um sich zu quälen (um sich qualvoll zu trösten, würde er sagen, aber wir wollen versuchen, uns nicht von ihm die Hand führen zu lassen)? Es ist schon schwierig genug, die Taten und Gefühle eines Menschen zu rekonstruieren, der zwar sicher vor echter Liebe brennt, aber bei dem man nie weiß, ob er das ausdrückt, was er empfindet, oder das, was die Regeln des Liebesdiskurses ihm vorschreiben - doch was wissen wir schon vom Unterschied zwischen empfundener und ausgedrückter Leidenschaft, und welche der beiden vorausgeht? Also sagen wir, er schrieb für sich, es war nicht Literatur, er saß wirklich da und schrieb wie ein Jüngling, der einem unmöglichen Traum nachhängt, die Seite mit Tränen tränkend, aber nicht wegen der Abwesenheit der geliebten Person, die schon als Anwesende reines Bild für ihn war, sondern aus Gerührtheit über sich selbst, verliebt in die Liebe ...
    Das könnte schon einen Roman ergeben, aber noch einmal, wo beginnen?
    Ich denke, er hat diesen ersten Brief erst später geschrieben und sich zunächst umgesehen - und was er dabei entdeckt hat, wird er in späteren Briefen schildern. Aber auch hier wieder, wie übersetzt man das Tagebuch eines Menschen, der durch treffende Metaphern sichtbar machen will, was er schlecht sieht, während er nachts mit leidenden Augen umhergeht?
    Roberto wird sagen, daß er sein Augenleiden seit jenem Tag hatte, als er während der Belagerung von Casale den Streifschuß an der Schläfe abbekam. Und das kann auch so gewesen sein, aber an anderer Stelle legt er nahe, daß seine Augen wegen der Pest immer schlechter geworden seien. Er war sicherlich von zarter Konstitution und auch etwas hypochondrisch, wenngleich mit Verstand; die Hälfte seiner Lichtscheu muß an schwarzer Galle gelegen haben und die andere Hälfte an einer Form von Reizung, die womöglich durch die Präparate des Herrn d’Igby noch verschärft worden warn Es scheint gesichert, daß er die Reise auf der Amarilli nur unter Deck zurückgelegt hatte, wenn man bedenkt, daß die Rolle des Lichtscheuen, wenn nicht ohnehin seine Natur, so doch zumindest diejenige war, die er spielen

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