Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Insel Des Vorigen Tages

Die Insel Des Vorigen Tages

Titel: Die Insel Des Vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
Kunstvolle Eloquentia erlaubt uns, dieses Universum zu verstehen.«
    So redend, hatte Pater Emanuele mit Roberto die Kirche verlassen, und sie hatten einen Spaziergang auf die Bastionen gemacht, an eine ruhige Stelle, wo an jenem Nachmittag nur gedämpfter Kanonendonner von der anderen Seite der Stadt zu hören war. Sie konnten die Zelte der Kaiserlichen in der Ferne sehen, doch große Teile des Lagers waren entleert von Truppen und Karren, und die Wiesen und Hügel glänzten in der Frühlingssonne.
    »Was siehst du, mein Sohn?« fragte Pater Emanuele. Und Roberto, noch wenig eloquent: »Die Wiesen.«
    »Gewiß, ein jeder kann dort Wiesen sehen. Aber du weißt sehr gut, daß sie dir je nach dem Stand der Sonne, der Farbe des Himmels, der Stunde des Tages & der Jahreszeit in verschiedenen Formen erscheinen können, die dir verschiedene Gefühle eingeben. Dem Bauern, der müde von der Arbeit ist, erscheinen sie als Wiesen & sonst gar nichts. Dasselbe geschieht mit dem ungebildeten Fischer, der entsetzt eines jener Nächtlichen Feuerbilder erblickt, die manchmal am Himmel erscheinen & Schrecken verbreiten, doch sobald die Kometenforscher, die auch Poeten sind, sich erkühnen, sie Schweifsterne, Gemähnte & Geschwänzte Irrsterne zu nennen oder Rammböcke, Schilde, Fackeln & Pfeile, so lassen dich diese Redefiguren erkennen, durch welche Sinnreichen Symbole die Natur sprechen wollte, die sich dieser Bilder wie Hieroglyphen bedient, welche zum einen auf den Tierkreis verweisen & zum andern auf vergangene oder zukünftige Ereignisse. Und die Wiesen? Sieh nur, wieviel du von den Wiesen sagen kannst, und wie du, je mehr du von ihnen sagst, um so mehr auch von ihnen Siehst & Verstehst: Der Zephyr weht, die Erde öffnet sich, es klagen die Nachtigallen, wie Pfauen spreizen sich die mit Laub Gekrönten Bäume, und du entdeckst das wunderbare Ingenium der Wiesen in der Varietät ihrer Brut von Gräsern & Kräutern, die gesäuget werden von Bächen, die munter Scherzen wie Kinder. Die Festlichen Wiesen jubeln mit Witziger Fröhlichkeit, beim Aufgehen der Sonne öffnen sie ihre Augen, & in ihrem Antlitz siehst du den Bogen eines Lächelns, & sie freuen sich über die Rückkehr des Tagesgestirns, trunken von den Süßen Küssen des Südwinds, & das Lachen tanzt auf der Erde selbst, die sich öffnet zu stummer Freude, & die Milde des Morgens macht sie des Glückes so voll, daß sie sich in Tränen von Tau ergießen. Mit Blumen Bekränzt, überlassen die Wiesen sich ihrem Genius & komponieren Hyperbeln von Regenbögen voller Scharfsinn und Witz. Doch bald schon eilt ihre Jugend dem Tode entgegen, ihr Lachen trübt sich mit jäher Blässe, der Himmel wird Grau, & Zephyr, der sich verspätet, seufzt über ermatteter Erde, so daß beim ersten Grollen am Winterhimmel die Wiesen ersterben und sich erstattend mit Reif Aberziehen. Siehst du, mein Sohn, wenn du nur einfach gesagt hättest, daß die Wiesen lieblich sind, hättest du nicht mehr getan, als mir ihr Grünen darzustellen - über das ich schon im Bilde bin -, doch wenn du sagst, daß die Wiesen lachen , lässest du mich die Erde wie einen Beseelten Menschen sehen, & umgekehrt lerne ich, in den Menschengesichtern all jene feinen Abschattungen zu sehen, die ich in den Wiesen wahrgenommen ... Und ebendieses ist Zweck & Aufgabe der höchsten aller Figuren, der Metapher. Wenn das Ingenium - also der Witz und somit das Wissen - darin besteht, Entferntes zu verbinden und Ähnlichkeit im Unähnlichen zu entdecken, dann ist die Metapher unter den Redefiguren die scharfsinnigste, geistvollste & erlesenste, die als einzige jenes Erstaunen hervorzurufen vermag, aus welchem das Wohlgefallen erwächst, wie beim Wechsel der Szenen auf dem Theater. Und wenn das Wohlgefallen, das uns die Figuren verschaffen, jenes ist, mühelos Neues zu lernen und Vieles auf kleinem Raume - wohlan, so läßt die Metapher, indem sie unseren Geist im Fluge von einer Gattung zur anderen trägt, in einem Worte mehr als eine Sache erblicken.«
    »Aber Metaphern muß man erfinden können, und das ist nichts für einen Bauern wie mich, der auf den Wiesen nie was andres gemacht hat, als auf die Vögel zu schießen ...«
    »Du bist ein Edelmann, und wenig fehlt dir, das zu werden, was man in Paris einen Honneste Homme nennt, in den Duellen mit Worten nicht minder gewandt als in denen mit Degen ... Und Metaphern zu bilden und somit die Welt unermeßlich viel mannigfaltiger zu sehen, als sie den Ungebildeten erscheint, ist

Weitere Kostenlose Bücher