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Die Insel Des Vorigen Tages

Die Insel Des Vorigen Tages

Titel: Die Insel Des Vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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eine Kunst, die man erlernen kann. Denn, wenn du’s wissen willst, in dieser Welt, in der heute alle ganz verrückt nach möglichst vielen wunderbaren Maschinen sind - von denen du einige leider auch hier in dieser Belagerung sehen kannst -, konstruiere auch ich Maschinen, Aristotelische Maschinen, die einem jeden erlauben sollen, durch die Worte zu sehen ...«
    In den folgenden Tagen lernte Roberto den Signor della Saletta kennen, der als Verbindungsoffizier zwischen Toiras und den Stadtvätern von Casale fungierte. Toiras hatte sich, wie Roberto gehört hatte, über die Casaler beschwert, auf deren Treue er sich nicht verlassen wolle: »Begreifen sie denn nicht«, hatte er ärgerlich gesagt, »daß Casale sich auch in Friedenszeiten in einer Lage befindet, in der es nicht einmal einen einfachen Fußsoldaten oder einen Korb mit Gemüse hereinlassen kann, ohne die Spanier zu bitten, ihn durchzulassen? So daß es nur unter französischem Schutz sicher sein kann, respektiert zu werden?« jetzt erfuhr Roberto jedoch von Signor della Saletta, daß Casale sich auch unter den Herzögen von Mantua nicht sehr wohl gefühlt hatte. Es sei immer die Politik der Gonzaga gewesen, die Opposition der Casaler einzudämmen, und seit sechzig Jahren habe die Stadt unter zunehmender Beschneidung ihrer Privilegien gelitten.
    »Verstehen Sie, Monsieur de La Grive?« sagte Saletta. »Zuerst mußten wir über zu hohe Steuern klagen, und jetzt tragen wir die Kosten für die Versorgung der Garnison. Wir mögen die Spanier nicht bei uns, aber mögen wir die Franzosen wirklich? Sterben wir für uns oder für sie?«
    »Für wen ist dann aber mein Vater gestorben?« hatte Roberto gefragt. Und Signor della Saletta hatte nicht gewußt, was er darauf antworten sollte.
    Von den politischen Reden angewidert, war Roberto ein paar Tage später erneut zu Pater Emanuele gegangen. In dem Kloster, wo er wohnte, wies man ihn nicht zu einer Zelle, sondern zu einem Quartier, das ihm unter dem Gewölbe eines stillen Kreuzgangs zugeteilt worden war. Dort traf er ihn im Gespräch mit zwei Edelmännern, von denen der eine sehr prächtig gekleidet war: purpurner Rock mit goldenen Schnüren, Mantilla mit vergoldeten Borten und Pelzfutter, die Weste gesäumt mit einer roten Schärpe und einem Band mit kleinen Steinen. Pater Emanuele stellte ihn als Leutnant Don Gaspar de Salazar vor, doch schon am hochmütigen Ton sowie am Schnitt des Schnurrbarts und der Haare hatte ihn Roberto als einen Edelmann der feindlichen Armee erkannt. Der andere war Signor della Saletta. Für einen Augenblick kam Roberto der Verdacht, in ein Verräternest geraten zu sein, dann begriff er (was auch ich bei dieser Gelegenheit lerne), daß es nach der Etikette der Belagerung gestattet war, einem Repräsentanten der Belagerer freien Zugang zur belagerten Stadt zu gewähren, um Kontakt aufzunehmen und Verhandlungen zu führen, so wie umgekehrt auch Saletta freien Zugang zum Lager Spinolas hatte.
    Pater Emanuele sagte, er sei gerade im Begriff, den Besuchern seine Aristotelische Maschine zu zeigen, woraufhin er sie alle drei in einen Raum führte, in dem sich das sonderbarste Möbel befand, das man sich vorstellen kann - und ich bin nicht sicher, ob ich seine Form exakt aus der Beschreibung rekonstruiere, die Roberto seiner Signora davon gibt, denn zweifellos handelte es sich um etwas, das er weder vorher noch nachher jemals gesehen hatte.
    Der untere Teil bestand aus einer Kommode, in deren Vorderseite einundachtzig Schubladen eingelassen waren - neun waagrechte Reihen auf neun senkrechte, jede Reihe oben und an der Seite, wie bei einem Schachbrett, beschriftet mit einem Buchstaben in der Abfolge BCDEFGHIK. Oben auf der Kommode stand links ein Lesepult, auf dem ein großes Buch lag, eine aufgeschlagene Handschrift mit kolorierten Initialen. Rechts neben dem Pult befanden sich drei ineinandergesteckte zylinderförmige Walzen von abnehmender Länge und zunehmendem Umfang (wobei die kürzeste die geräumigste war, so daß sie die beiden längeren in sich aufnehmen konnte), die mit einer rechts angebrachten Kurbel so gedreht werden konnten, daß sie sich aufgrund des Trägheitseffektes mit unterschiedlicher Geschwindigkeit je nach ihrer Schwere ineinander drehten. Jede Walze trug am linken Ende die gleichen neun Buchstaben eingraviert, die auch die Schubladen bezeichneten. Es genügte, die Kurbel einmal zu drehen, und die Walzen setzten sich unabhängig voneinander in Bewegung, und wenn sie wieder

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