Die Inseln des Ruhms 02 - Der Heiler
Dufthauch, in dem sich sämtliche Latrinen von ganz Lekenbraig verbinden, muss schwer zu ertragen sein, denke ich.«
» Es is wie … oh, wie Hintergrundrauschen. Während wir uns jetzt unterhalten, hört Ihr nich, wie über Euch die Blätter des Baumes in der Brise rascheln, oder wie die Zikade singt. Die Geräusche sind da, aber Ihr filtert sie raus. Genauso is es bei uns. Ich will die Latrinen nich riechen, also halte ich den Gestank von meinem Bewusstsein fern, wenn auch nich von meiner Nase.«
» Und wieso soll das die Verteidigung der Hochländer sein?«, fragte Glut.
» Niemand kann sich an uns anschleichen und uns überraschen. So wie lauter Lärm Euch in der Nacht wecken würde, würde mich ein unerwarteter Geruch wecken, oder einen ganzen Tharn. Was gelegentlich in der Vergangenheit sehr praktisch war, wenn die Küstenbewohner angegriffen haben und vorhatten, unser Land oder unsere Herden an sich zu reißen.«
» Was nützt eine Warnung, wenn Ihr doch gar nicht kämpft? Denn das tut Ihr nicht, oder?«, beharrte sie.
» Nein. Es war bisher nie nötig. Wir ziehen uns in die Wiesen zurück und verschmelzen mit ihnen. Wir pfeifen die Selber zu uns. Eine ganze Selberherde, die auf Geräusche hört, die kein Mensch wahrnehmen kann, kann sehr, sehr furchterregend sein. Und sie mögen Fremde nich. Ihr habt keine Ahnung, wie seltsam es für mich war, dass Skandor es zugelassen hat, dass Ihr auf ihm reitet … Wie auch immer, kein Eindringling hat jemals versucht, auf der Hochebene zu bleiben. Wir sind nie erobert worden.«
» Erkennt Ihr die einzelnen Leute an ihrem Geruch? Euer Vater konnte das, oder?«
» Oh, ja. Ihr vergesst vermutlich nie ein Gesicht; wir vergessen nie einen Geruch, und jeder einzelne is einzigartig. Wenn ich Euch in zehn Jahren wiedertreffen sollte, würde ich mich an Euren Körpergeruch erinnern. Ihr habt ein unvergessliches Aroma, Glut Halbblut.«
Flamme kicherte. » Vielleicht erklärt er dir gerade, dass du stinkst, Glut.«
Sie ging nicht darauf ein. » Nein, Gilfeder, das ist noch nicht alles. Garwin hat einmal gesagt, dass er Furcht riechen würde. Ihr könnt nicht nur Leute riechen; Ihr riecht ihre Absichten. Ihre Gefühle.«
Flamme blickte verblüfft drein. » Du meinst, er könnte sagen, ob ich dich mag oder nicht?«
Ich grinste.
Sie war entrüstet. » Das ist hochgradig peinlich.«
» Keine Sorge. Es geht nich sehr in die Tiefe. Ich könnte es riechen, wenn Ihr mich sehr ablehnen oder sehr begehren würdet. Oder wenn Ihr mich verletzen wolltet. Die Schattierungen dazwischen sind nich immer so klar.«
Glut legte ihren Kopf leicht schief und dachte nach. » Was ist mit Lügen? Könnt Ihr erkennen, ob jemand lügt?«
» Manchmal, ja.« Ich zögerte. » Nun, meistens, sofern die Lüge aus böser Absicht geschieht oder der Täuschung dient. Aber ich vermute, das könnt Ihr ebenfalls. Und Ihr habt eine Nase, die nich erst dann was riecht, wenn sie in etwas hineingestoßen wird.«
Sie lächelte leicht, als Antwort auf das indirekte Kompliment. » Ich glaube, Ihr seid ein gefährlicher Mann, Kelwyn Gilfeder. Ich glaube, Ihr wisst weit mehr über mich, als mir lieb ist.«
Ich lächelte zurück, so nichtssagend, wie es mir möglich war. Sie würde in Zukunft versuchen, sich in meiner Gegenwart vorsichtig zu verhalten, aber es würde ihr nichts nützen. Meine Nase verriet mir mehr über Leute – sogar über sie –, als ihre Augen und ihr Instinkt ihr jemals über andere Menschen mitteilen konnten.
» Ihr müsst ein ziemlich irrer Arzt sein«, sagte sie leise. » Ihr könnt Krankheiten riechen.« Das war typisch für sie, dass sie genau zum Wesentlichen kam. Wir Ärzte auf der Himmelsebene gingen von uns aus zu den Patienten und erklärten ihnen, dass sie krank waren, nicht umgekehrt. » Nun«, sagte sie nachdenklich, » wenn wir in Lekenbraig sind, werdet Ihr uns also Bescheid sagen können, wenn unsere Verfolger die Stadt erreichen?«
Ich nickte. » Ja. Ich habe ihre Gerüche in meinem Gedächtnis. Ihr habt es nich gemerkt, aber die Führer aus Gar haben sie mehrmals dicht in unsere Nähe gebracht, dann sind sie wieder abgedreht und woanders hingegangen.« Es war Absicht gewesen; ich wusste das. Die Führer hatten mich wissen lassen wollen, dass ich auf ihre Gnade angewiesen war. Aber sie hatten auch gewollt, dass ich die Leute kannte, die uns folgten, weil ich ein Hochländer war und die anderen nicht.
» Wie viele sind es?«
» Zwei Fellih-Priester und zehn
Weitere Kostenlose Bücher