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Die Inselvogtin

Die Inselvogtin

Titel: Die Inselvogtin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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er Jan etwas tut! Niemals!«
    Mit diesen Worten drehte sie sich um, ohne auf Tassos Einwände zu hören, und rannte hinaus. Sie war so voller Wut und Verzweiflung, dass es in ihr heftiger stürmte als der Orkan auf dem Meer. Es musste ein Ende haben. Heute war der Tag, an dem der Kampf zwischen ihnen endlich entschieden wurde.
    Das Meer floss bereits über den Hammrich. Von weitem konnte Maikea schemenhaft die Umrisse eines kleinen Schiffes an der Wattseite erkennen. Damit müssen Weert und seine Männer auf die Insel gekommen sein, dachte sie. Der Mast schwankte bedrohlich, und der Rumpf hatte Schlagseite. Was immer ihr Widersacher auch vorhatte, bei diesem Wetter konnte er unmöglich die Insel verlassen. Es sei denn, er wollte sein eigenes Leben riskieren, doch dafür war er sicher zu feige. Weert hatte sich schon immer vor den Naturgewalten gefürchtet. Der Sturm war Maikeas Glück, denn sie war ihm gewachsen.
    Der Mond ließ für einen flüchtigen Augenblick sein weißes Licht über die Insel fallen, und da erkannte Maikea zwei Menschen in den Dünen. Es waren Umrisse, die sich vom Gestrüpp der Sandberge abhoben, ein kleiner und ein großer Schatten. Dann schoben sich wieder Wolkentürme vor das Licht, und die Nacht war so dunkel wie zuvor.
    »Jan!«, schrie sie. Der feuchte Boden bremste ihren Schritt, ließ sie beim Rennen einsacken und stolpern. Doch als sie an den wild bewachsenen Abhang der Dünenkette gelangte, konnte sie schneller laufen. »Weert, lass deine Finger von meinem Kind!«
    In einer kleinen Kuhle, verborgen zwischen Sanddornsträuchern, hatte Maikea im Frühjahr ein paar ausgemusterte Hölzer gelagert, lange Balken, zu dünn, um als Verstärkung für die Buhnen zu dienen. Blind griff sie einen davon, er würde ihr als Waffe dienen. Selbst wenn Weert einen Degen haben sollte und von seinen Männern noch mal jeder zwei, sie fühlte sich, als wäre sie fast unbesiegbar.
    »Mutter, Hilfe!«, hörte sie plötzlich einen Ruf inmitten des Sturmgeschreis. Maikea vergrößerte ihre Schritte, kletterte den Hang hinauf und hielt den Balken mit beiden Händen fest umklammert.
    Da standen sie! Ein großer Mann hielt Jan am Hals gefasst und hob ihn hoch. Der Junge trat um sich, warf seine Arme links und rechts in die Luft und wehrte sich mit ganzer Kraft. Doch er war chancenlos. Der Kerl war ein Riese, dem es Spaß zu machen schien, ein Kind zu quälen.
    Er hatte Maikea in der Dunkelheit noch nicht gesehen und drehte ihr in diesem Moment den Rücken zu.
    Maikea spurtete lautlos heran, holte aus und traf den Soldaten auf den Scheitel. Er sackte in sich zusammen wie ein nasser Sack. Der zweite Schlag traf ihn auf die Stirn. Wenn er nicht tot war, so schien er zumindest ohnmächtig geworden zu sein, denn seine Arme ließen den völlig verstörten Jan frei.
    Der Junge rappelte sich auf, schaute sich erschrocken um, und als er Maikea neben sich erkannte, den schweren Balken noch immer schlagbereit in der Hand, schluchzte er auf und flüchtete sich in ihre Arme.
    »Mutter, was wollen diese Männer von mir? Ich verstehe das nicht, ich habe doch niemandem etwas getan!«
    »Pst!« Für Erklärungen war jetzt keine Zeit, niemals würde Jan so schnell begreifen, wer er wirklich war – und wer nicht. »Lauf, so schnell du kannst.« Maikeas Atem raste.
    »Wohin denn? In die Kirche?«
    »Nein, und auch nicht in unser Haus.« Sie zog ihn nah an sich und flüsterte ihm ins Ohr: »Du musst mutig sein, mein Junge. Renne in die Dünen, so weit du kannst, und verstecke dich dort. Du kennst dich hier aus, die fremden Männer jedoch würden sich verirren. Aber geh nicht an den Strand oder in Wattnähe, der Sturm ist zu gefährlich! Und bleib von den Menschen fern, Jan, hörst du? Du kannst keinem trauen außer mir – und dem Weißen Knecht!«
    »Aber warum, Mutter? Ich will bei dir bleiben!« Er krallte sich in ihren Rock. Es brach Maikea das Herz, und sie hätte ihn gern in den Arm genommen, ihn getröstet und ihm all die Erklärungen gegeben, die sie ihm schuldete. Doch dann sah sie Weert auf sich zukommen. Er hielt eine Fackel in der einen und den Degen in der anderen Hand.
    »Habbo? Komm schon!«
    Offensichtlich hatte er sie nicht gehört, dachte Maikea erleichtert. Weert schien auch noch nicht bemerkt zu haben, dass sein brutaler Gehilfe mit zerschmettertem Kopf vor ihren Füßen lag.
    »Renn sofort los, Jan! Ich will keine Widerworte hören! Es geht um dein Leben, also bring dich in Sicherheit!« Sie drückte ihn kurz an

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