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Die Inselvogtin

Die Inselvogtin

Titel: Die Inselvogtin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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versucht, sie zu verstehen. Er wusste also, worauf es heute ankam. Fünf- oder sechsmal rannte er, um Material zu holen, dann stellte er sich neben Maikea und ging ihr mit den Seilen zur Hand. Doch irgendwann stand beiden das Wasser bis zu den Knien, die Wellen drohten sie umzuwerfen.
    »Mehr können wir nicht tun!«, rief Tasso gegen den Wind. »Komm, lass uns an Land gehen.«
    »Nein, ich werde weitermachen! Es wird sonst nicht halten …« Aber schon wenige Minuten später musste Maikea einsehen, dass er recht hatte. Kein Pfahl ließ sich mehr verkeilen, die Wellen drückten zu stark gegen die Buhnen. Ihre Kleidung war nass, sie zitterte vor Kälte und Anstrengung.
    Tasso zog sie mit sich, bevor es für Maikea zu spät würde. Aber plötzlich erfasste sie von hinten eine hohe Woge und drückte sie unter Wasser. Maikea verschluckte sich am salzigen Nass, stand wieder vor ihm und hustete. Ihre Zähne klapperten aufeinander.
    Nie hatte Tasso einen Menschen mehr bewundert als Maikea in diesem Moment.
    Er packte sie mit beiden Händen und hob sie hoch, bis sie wieder auf sicheren Füßen stand. »Ich bringe dich jetzt nach Hause. Hier können wir nichts mehr tun!«
    Sie riss sich los und starrte ihn an. »Niemals! Ich will sehen, was geschieht!«
    »Du wirst erfrieren! Oder ertrinken! Bitte, Maikea, sei doch einmal weniger stur und bring dich in Sicherheit …«
    »Nein, es ist meine Aufgabe, hierzubleiben! Mein Vater hätte das sicher auch getan. Niemals hätte er sich in Sicherheit gebracht, wenn die Insel noch in Gefahr war …«
    »Du irrst dich, Maikea! Du musst endlich aufhören, dich mit einem Mann zu vergleichen, den du nie gekannt hast! Erinnerst du dich an die Geschichte von dem feigen Inselvogt, der die Schiffbrüchigen nicht hatte retten wollen, weil ihm die Gefahr für sich selbst zu groß erschien? Ich habe sie dir vor Jahren, als wir uns in Norden trafen, erzählt. Du hast gesagt, sein Tod sei gerecht gewesen, eine Gottesstrafe …«
    »Ja und? Warum kommst du jetzt damit?«
    »Dieser Inselvogt ist dein Vater gewesen, Maikea.«
    Sie starrte ihn an, die Ader an ihrer Stirn pulsierte nun unübersehbar. »Du lügst!«
    »Doch! Ich war dabei! Anstatt nach Überlebenden zu suchen, wollte er zunächst nach seiner Frau und seinem Kind sehen. Das war ihm wichtiger.«
    »Das Kind … das bin ich gewesen?«
    »Ja, er hat es für dich getan. Er war kein Mann, der seine Gefühle verdrängte und jeden Kampf bis aufs Letzte ausfechten musste, um sich zu beweisen.«
    »Aber … Dann war er ein Feigling.«
    »Damals hielt ich ihn für feige. Aber heute verstehe ich, was in ihm vorgegangen ist. Er hat euch geliebt, Maikea. Dich und deine Mutter und deine Brüder. Ihr wart ihm das Wichtigste auf der Welt. Er hat sich gegen die Seeleute entschieden, weil er euch keinen Schaden zufügen wollte. Aber er hatte keine Angst um sich selbst, sondern um euch. Er tat es nicht aus Feigheit, sondern aus Liebe!«
    »Was weißt du schon von Liebe?«, fragte Maikea bitter.
    Tasso fasste an seinen Hals, zog die Kette hervor, an deren Ende das silberne Medaillon hing, und reichte sie ihr. »All die Jahre habe ich diesen Schatz bei mir getragen, weil ich dich in meiner Nähe haben wollte. Aber du hast recht, ich hätte mich damals schon für dich entscheiden sollen.«
    Sie sah aus, als wollte sie etwas erwidern, ihn beschimpfen, doch es kam nichts aus ihrem Mund, denn er legte seine Lippen darauf und küsste sie. Er küsste sie, bis sie sich endlich widerstandslos von ihm umarmen ließ. Es war wie in jener Nacht in der Mühle, und doch war es anders, denn damals hatte er für einen kurzen Moment an eine gemeinsame Zukunft geglaubt. Heute wusste er es besser.

10
    M it letzter Kraft zogen die Männer das Schiff an Land. Weert wünschte einen kurzen Moment, er wäre ein frommer Mensch, denn ein Dankgebet wäre jetzt angebracht gewesen.
    Sie hatten bei unruhiger See in Emden abgelegt, doch im Dollart war ein Sturm aufgezogen, der selbst dem erfahrenen preußischen Kapitän die Angst ins Gesicht geschrieben hatte. Der Mann wollte den sicheren Hafen in Greetsiel ansteuern. Und obwohl Weert selbst um sein Leben fürchtete, hatte er es ihm untersagt.
    Viel zu lange suchte er bereits die richtige Spur, viel zu teuer war ihm das Unterfangen geworden. Die Gefahr, dass der Weiße Knecht ihm nun zuvorkam und der Sohn des Fürsten bereits auf dem Weg nach Aurich war, saß ihm im Nacken. Er musste nach Juist, zurück auf diese verfluchte Insel seiner

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