Die Intrige
er ausgerutscht und in einen Busch gestürzt. Unter seinen Daumennagel hatte sich ein Dorn gebohrt, ihn in der Mitte gespalten und an seiner Fingerspitze eine blutige Wunde zurückgelassen.
Es war nur der letzte von weit über zwanzig Kratzern, Schrammen und Blasen an Leons Körper, doch noch gröÃeres Unbehagen bereitete ihm sein knurrender Magen. Der Sturz hatte zur Folge gehabt, dass er sein Ziel nicht rechtzeitig erreicht hatte, und zur Strafe hatte Trainer Speaks sein Essen ins Feuer geworfen.
Die Versuchung befand sich in Leons unmittelbarer Nähe. Die Schüler durften zwar eigentlich keine Lebensmittel bei sich haben, aber Leon wusste, dass Ning Kekse in ihrem Rucksack versteckt hatte, weil er gesehen hatte, wie sie sie vor zwei Tagen der Stewardess auf dem Rückflug von Australien aus dem Snackwägelchen geklaut hatte.
Ning hatte sich die Riemen ihres Rucksacks um die Knöchel gewickelt, damit er nicht weggeschwemmt wurde. Als eine Miniwelle über das Deck rollte und durch den Netzhaufen spülte, griff Leon nach dem ReiÃverschluss der Tasche.
Es war riskant: Ning war zwei Jahre älter als er und ein Boxchampion. Sie hätte Leon windelweich prügeln können, wenn er sie ärgerte. Trotz des tuckernden Motors und der Geräusche von Wind und Wellen hatte er das Gefühl, jeder Zahn am ReiÃverschluss knackte wie ein Pistolenschuss.
Sobald er weit genug auf war, dass er mit der Hand hineingreifen konnte, tastete Leon blind in Nings Rucksack herum. Er grub sich an ihrer Unterwäsche vorbei, die sie von Hand ausgewaschen, aber noch feucht eingepackt hatte. Als er weiter hineingriff, spürte er Sandkörner auf seiner Haut und den glatten Griff ihres Jagdmessers und ganz unten zwei in Zellophan verpackte Shortbread-Kekse.
Als er sie herauszog, berührte er eine gröÃere Packung, rechteckig, bei der die Kekse in einer Plastikschale lagen. Sie fühlten sich weich an, als er darauf drückte. Das mussten Jaffakekse sein!
Leon lief die Spucke im Mund zusammen, als er sich vorstellte, wie Orange und Schokolade auf seiner Zunge zerschmolzen. Als eine kleine Welle das Deck überspülte, zog er das kleine Päckchen heraus und riss es mit den Zähnen auf. Er hatte seit achtzehn Stunden nichts gegessen und musste ein erleichtertes Stöhnen unterdrücken, als er sich einen Keks in den Mund steckte.
Das tat ja sooo gut!
Den zweiten Keks inhalierte er förmlich, doch als er den dritten gerade in den Mund stecken wollte, berührte ihn eine Hand an der Schulter und lieà ihn zusammenzucken.
»Willst du die alle allein in dich hineinstopfen?«, erkundigte sich sein Zwillingsbruder Daniel leise.
Leon drehte sich zu seinem Bruder um und flüsterte: »Du hast gestern schlieÃlich Abendessen bekommen, ich nicht!«
»Ich sage es Ning«, drohte Daniel und zeigte mit dem Finger auf ihren Rücken. »Die knackt dich wie eine Eierschale!«
Leon wusste zwar, dass sein Bruder ihn nicht wirklich verpetzen würde, aber dieses Wissen erinnerte ihn auch an seine enge Bindung an seinen Zwilling, also brach er den Keks durch und gab Daniel die gröÃere Hälfte.
Daniel gab ein leises Mmmmh! von sich, als plötzlich mit lautem Krach die Schiebetür der Kajüte aufflog.
»Wisch dir die Oberlippe ab!«, verlangte Leon ängstlich, kaute schnell und schnippte sich die Schokoladenkrümel von der Brust. »Wenn er uns beim Essen erwischt, sind wir tot!«
Während Leon schnell Nings Rucksack zuzog und die Beweismittel für sein Vergehen hinunterschluckte, kam Trainer Speaks auf das schräg liegende Deck hinaus. Speaks sah durch und durch nach hartem Kerl aus, von der eng anliegenden Sonnenbrille und dem kahl geschorenen schwarzen Kopf bis zu den glänzend polierten Kampfstiefeln in GröÃe 52.
»Ausgeschlafen, ihr Gewürm?«, begrüÃte er sie dröhnend und verzog grinsend die Lippen, als er Ning mit einem Stoà in die Rippen weckte. »Hoch mit euch! Aufstellen, zack, zack!«
Mit vom Schlaf verquollenen Augen befreite sich Ning aus den Netzen. Ihr taten beide Schultern weh, weil ihr Rucksack auf dem Gewaltmarsch am Vortag gescheuert hatte. Als Speaks näher kam, erwartete sie, dass sie noch einen Stoà bekam, weil sie so langsam war, doch er griff hinter ihr in den Seilhaufen und fischte die Hülle der Jaffakekse hervor.
Er hielt sie hoch, um sie zu betrachten, und riss in
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