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Die irische Signora

Die irische Signora

Titel: Die irische Signora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maeve Binchy
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entsetzt war, sie zu sehen.
    »Ich bin mir noch nicht sicher, was ich eigentlich will. Das kommt alles ein bißchen plötzlich.«
    »Ich weiß. Du hattest noch nicht die Zeit, um dir über deine Gefühle klarzuwerden.« Es klang nicht erleichtert, sondern mitfühlend.
    »Diese neue Situation ist für mich noch immer schwer zu begreifen.«
    »Für mich auch. Ich kann es noch gar nicht fassen, daß du jetzt hier bist.« Er stellte sich mit ihr auf dieselbe Ebene.
    »Ärgert es dich nicht, daß ich hergekommen bin?«
    »Nein, ganz im Gegenteil, ich freue mich, dich zu sehen. Es tut mir nur leid, daß dein bisheriges Leben so hart gewesen ist und du jetzt auch noch diesen Schock verkraften mußt. Das sind meine Empfindungen.«
    Kathy hatte einen Kloß im Hals. Er war so völlig anders, als sie ihn sich vorgestellt hatte. Konnte es wirklich sein, daß dieser Mann ihr Vater war? Und daß er und Fran unter anderen Umständen geheiratet hätten und sie ihre älteste Tochter wäre?
    Da nahm er eine Visitenkarte heraus und schrieb eine Nummer darauf. »Unter dieser Nummer kannst du mich direkt erreichen, ohne den Umweg über die Telefonzentrale und die Sekretärinnen«, meinte er. Es ging ihr fast zu glatt – so, als wollte er sich davor drücken, Erklärungen abgeben zu müssen. Als wollte er vermeiden, daß jemand in der Kanzlei von seinem kleinen häßlichen Geheimnis erfuhr.
    »Hast du nicht Angst, ich könnte dich zu Hause anrufen?« fragte sie. Zwar bedauerte sie es, diese freundliche Atmosphäre zerstören zu müssen, aber sie wollte sich nicht von ihm um den Finger wickeln lassen.
    Er hielt den Füllfederhalter noch immer in der Hand. »Ich wollte dir gerade auch noch meine Telefonnummer zu Hause aufschreiben. Du kannst mich jederzeit anrufen.«
    »Und was ist mit deiner Frau?«
    »Marianne wird sich natürlich auch freuen, mit dir zu sprechen. Ich werde ihr heute abend erzählen, daß du mich besucht hast.«
    »Du bist ein ziemlich cooler Typ, stimmt’s?« meinte Kathy halb bewundernd, halb mißbilligend.
    »Nach außen hin, glaube ich, wirke ich ruhig, aber unter der Oberfläche bin ich sehr aufgeregt. Und das ist ja auch kein Wunder. Da begegne ich zum erstenmal meiner gutaussehenden erwachsenen Tochter, und mir wird bewußt, daß sie meinetwegen auf der Welt ist.«
    »Und denkst du auch jemals an meine Mutter?«
    »Eine Zeitlang habe ich oft an sie gedacht, wie das immer so ist bei der ersten Liebe. Aber mehr noch wegen dem, was passiert ist und weil du geboren wurdest. Doch da wir nun mal nicht zusammenkommen konnten, wandte ich mich im Lauf der Zeit anderen Menschen und Dingen zu.«
    Es war die Wahrheit, unbestreitbar.
    »Wie soll ich dich anreden?« fragte Kathy plötzlich.
    »Du sagst zu deiner Mutter Fran, willst du mich dann Paul nennen?«
    »Wir sehen uns wieder, Paul«, meinte sie und stand auf.
    »Komm zu mir, wann immer du willst, Kathy«, sagte ihr Vater.
    Erst reichten sie einander die Hand, doch dann zog er sie an sich und umarmte sie. »Von jetzt an wird einiges anders werden, Kathy«, versprach er ihr. »Anders und besser.«
    Während Kathy mit dem Bus zur Schule zurückfuhr, rieb sie sich Lippenstift und Lidschatten ab und verstaute den zusammengerollten Blazer von Harriets Mutter in der Leinentasche. Dann ging sie in den Unterricht.
    »Und?« zischte Harriet.
    »Nichts.«
    »Was heißt nichts?«
    »Es ist nichts passiert.«
    »Heißt das, du hast dich schön gemacht, bist in sein Büro gegangen, und er hat dich nicht mal angerührt?«
    »Es gab so was wie eine Umarmung«, berichtete Kathy.
    »Wahrscheinlich ist er impotent«, nickte Harriet wissend. »Die Zeitschriften sind voll von Leserinnenbriefen darüber. Offenbar kommt das ziemlich oft vor.«
    »Schon möglich«, erwiderte Kathy und holte ihr Erdkundebuch heraus.
    Mr. O’Brien, der in den höheren Klassen immer noch Erdkunde unterrichtete, obwohl er Direktor war, blickte sie über den Rand seiner Lesebrille hinweg an. »Ist deine Grippe so plötzlich wieder verschwunden, Kathy?« fragte er mißtrauisch.
    »Ja, Gott sei Dank, Mr. O’Brien«, sagte Kathy. Es klang nicht direkt frech oder trotzig, aber sie redete mit ihm wie mit einem Ebenbürtigen, nicht wie eine Schülerin mit ihrem Lehrer.
    Seit Schuljahresbeginn hatte sich dieses Kind ziemlich gemausert, dachte Tony O’Brien im stillen. Er fragte sich, ob es irgendwie mit dem Italienischkurs zusammenhing, der sich wundersamerweise und entgegen seinen Prophezeiungen nicht als Fiasko

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