Die irische Signora
schönes Glas kalte Milch für sie bereit, und es gäbe kein warmes Abendessen. Und jetzt war ihr sogar herausgerutscht, daß sie sich das Geld für den Italienischkurs vom Mund abgespart hatte. Kein Wunder, daß es sie kränkte und beunruhigte, wenn sie daran dachte, daß all diese Opfer, ihre jahrelange Liebe und Fürsorge, für Kathy vielleicht auf einmal nichts mehr zählten. Daß sie sich von der plötzlichen Aussicht auf Reichtum und Luxus blenden ließ.
»Wir sollten jetzt zum Bus gehen«, meinte Kathy.
»Sicher, wenn du willst.«
»Natürlich will ich.«
»Na gut.« Fran zog ihren Mantel über, der schon bessere Tage gesehen hatte, und schlüpfte in ihre guten Schuhe, die gar nicht mehr so gut waren. Kathy dachte an die weichen italienischen Lederschuhe, die ihr Vater trug. Sie wußte, daß sie sehr, sehr teuer waren.
»
Avanti
«, sagte sie, und sie rannten zum Bus.
Im Kurs mußte Fran mit Luigi ein Paar bilden. An diesem Abend wirkte seine Miene noch finsterer und bedrohlicher als sonst.
»
Dov’è il cuore?«
fragte Luigi. Sein Dubliner Akzent ließ kaum erahnen, welchen Körperteil er meinte. »
Il cuore
«, wiederholte Luigi gereizt. »
Il cuore
, das wichtigste Organ des Körpers, Herrgott noch mal.«
Fran schaute ihn unsicher an. »
Non so
«, sagte sie.
»Sie werden doch wissen, wo das blöde
cuore
ist.« Luigi wurde zusehends ungehaltener.
Da kam ihr die Signora zu Hilfe. »
Con calma per favore
«, versuchte sie Frieden zu stiften. Sie griff nach Frans Hand und legte sie ihr aufs Herz. »
Ecco il cuore
.«
»Dafür haben Sie ja ganz schön lang gebraucht«, grummelte Luigi.
Die Signora betrachtete Fran. Heute abend war sie so anders. Sonst beteiligte sie sich immer lebhaft am Unterricht und ermunterte auch das Kind dazu.
Die Signora hatte sich bei Peggy Sullivan nochmals vergewissert. »Haben Sie mir nicht erzählt, daß Miss Clarke die Mutter des sechzehnjährigen Mädchens ist?« fragte sie.
»Ja, sie bekam sie, als sie gerade selbst erst in diesem Alter war. Ihre Mutter hat das Mädchen aufgezogen, aber es ist das Kind von Miss Clarke, das weiß jeder.«
Bis auf Kathy, dachte die Signora. Doch in dieser Woche waren sie beide verändert. Vielleicht war es ja jetzt herausgekommen. Bedrückt fragte sie sich, ob sie womöglich mit schuld daran war.
Kathy wartete eine Woche, ehe sie Paul Malone über seine Durchwahl im Büro anrief.
»Störe ich gerade?« fragte sie ihn.
»Im Moment habe ich noch jemanden hier, aber ich möchte mich gern mit dir unterhalten. Bleibst du bitte noch einen Augenblick dran?«
Sie hörte, wie er jemanden hinauskomplimentierte. Einen Prominenten, wie sie vermutete.
»Kathy?« Seine Stimme klang freundlich und angenehm.
»War das ernst gemeint, daß wir uns mal irgendwo treffen könnten, nicht nur so zwischen Tür und Angel im Büro?«
»Natürlich war das ernst gemeint. Willst du mit mir zu Mittag essen?«
»Ja, gern. Wann?«
»Morgen. Kennst du das Quentin’s?«
»Ich weiß, wo es ist.«
»Prima. Sagen wir um eins? Paßt das mit der Schule?«
»Ich sorge dafür, daß es paßt«, meinte sie grinsend und hatte das Gefühl, daß er ebenfalls grinste.
»Gut, aber ich möchte nicht, daß du Ärger bekommst.«
»Nein, das geht schon in Ordnung.«
»Ich freue mich, daß du angerufen hast«, sagte er.
An jenem Abend wusch sie sich die Haare und wählte sorgfältig ihre Garderobe aus, ihre beste Schulbluse und ihren Blazer, den sie mit Fleckentferner behandelt hatte.
»Du triffst dich heute mit ihm«, stellte Fran fest, als sie sah, wie Kathy ihre Schuhe putzte.
»Ich habe schon immer gesagt, du hättest zu Interpol gehen sollen«, erwiderte Kathy.
»Nein, das hast du noch nie gesagt.«
»Wir treffen uns nur zum Mittagessen.«
»Wie gesagt, das ist dein gutes Recht. Wohin geht ihr denn?«
»Ins Quentin’s.« Sie mußte ihr die Wahrheit sagen. Früher oder später würde Fran es doch erfahren. Allerdings wäre es ihr jetzt fast lieber gewesen, wenn er ein etwas weniger exklusives Lokal ausgesucht hätte. Denn das Quentin’s war für sie und Fran eine andere Welt.
Fran konnte sich zu einigen aufmunternden Worten durchringen. »Nun, das wird bestimmt prima, ich wünsche dir viel Spaß. Und laß es dir schmecken.«
Kathy fiel auf, daß Mam und Dad in letzter Zeit eine sehr untergeordnete Rolle in ihrem Leben zu spielen schienen; sie blieben völlig im Hintergrund. War das schon immer so gewesen, und hatte sie es nur nie bemerkt?
Dem
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