Die irische Signora
ich verstehen, solange Sie klein waren. Aber als Sie älter wurden …«
»Nein, sie dachte, ich wüßte es irgendwie, aber das war nicht der Fall. Ich hielt sie immer nur für eine wundervolle ältere Schwester. Ich bin nicht allzu gescheit, wissen Sie.«
»Ich finde Sie sowohl hübsch als auch gescheit.« Anscheinend war er wirklich von ihr angetan.
»Ich bin es aber nicht. Ich muß ziemlich büffeln und komme am Ende auch ans Ziel, doch ich habe keine so rasche Auffassungsgabe wie etwa meine Freundin Harriet. Ich bin eher ein Arbeitstier.«
»Das bin ich auch. Da schlägst du deinem Vater nach.«
Es war ein überwältigender Augenblick, hier in diesem Büro. Er gab zu, daß er ihr Vater war. Kathy schwebte beinahe wie auf Wolken. Aber jetzt wußte sie nicht mehr weiter. Er hatte ihr alle Argumente aus der Hand genommen. Sie hätte gedacht, er würde aufbrausen, alles abstreiten und sich herausreden. Doch er hatte nichts dergleichen getan.
»Du hättest doch keine solche Stelle bekommen, wenn du nur ein Arbeitstier wärst.«
»Meine Frau ist sehr vermögend, und ich bin ein charmantes Arbeitstier, das heißt, ich komme mit allen gut aus. In gewisser Weise ist das der Grund, warum ich hier arbeite.«
»Aber du hast es doch aus eigener Kraft zum Steuerberater gebracht, bevor du sie kennengelernt hast, nicht wahr?«
»Ja, ich war bereits Steuerberater, wenn auch nicht in dieser Firma. Aber ich hoffe, daß du eines Tages meine Frau kennenlernst, Katherine. Du wirst sie mögen, sie ist ein ausgesprochen liebenswerter Mensch.«
»Ich heiße Kathy, und ich kann sie gar nicht mögen. Daß sie ein liebenswerter Mensch ist, glaube ich gern, aber sie will mich sicher nicht kennenlernen.«
»Doch, wenn ich ihr sage, daß ich es möchte. Wir erweisen einander gern Gefälligkeiten. Und ich wäre ebenfalls bereit, jemanden kennenzulernen, wenn ich ihr damit eine Freude machen könnte.«
»Aber sie weiß ja gar nicht, daß es mich gibt.«
»Doch, das habe ich ihr schon vor langer Zeit erzählt. Ich wußte nicht, wie du heißt, aber ich habe ihr gesagt, daß ich eine Tochter habe, die ich nicht kenne, die ich aber wahrscheinlich kennenlernen werde, wenn sie erwachsen ist.«
»Du hast nicht gewußt, wie ich heiße?«
»Nein. Nach all dieser Aufregung damals sagte Fran, sie würde mir nur mitteilen, ob es ein Junge oder ein Mädchen sei, sonst nichts.«
»Das war die Abmachung?« fragte Kathy.
»Du hast es ganz treffend ausgedrückt – das war die Abmachung.«
»Sie spricht sehr freundlich von dir. Sie findet, daß du dich in dieser Sache ganz richtig verhalten hast.«
»Und was läßt sie mir ausrichten?« Er war völlig entspannt und aufgeschlossen, nicht etwa zurückhaltend oder argwöhnisch.
»Sie hat keine Ahnung, daß ich hier bin.«
»Wo glaubt sie denn, daß du bist?«
»Drüben in der Mountainview-Schule.«
»Mountainview? Dort gehst du zur Schule?«
»Von den viertausend Pfund vor sechzehn Jahren ist nicht mehr genug übrig, daß man mich damit auf eine Nobelschule schicken könnte«, gab Kathy bissig zurück.
»Du weißt also von der Abmachung?«
»Ich habe alles auf einmal erfahren, alles an einem Abend. Da wurde mir klar, daß sie nicht meine Schwester ist und du dich freigekauft hast.«
»Hat sie es so ausgedrückt?«
»Nein. Aber so ist es, auch wenn sie es anders formuliert hat.«
»Das tut mir sehr leid. Es muß schrecklich und trostlos sein, so etwas zu erfahren.«
Kathy schaute ihn an. Genau das war es gewesen – trostlos. Sie hatte überlegt, wie unfair diese Abmachung gewesen war. Ihre Mutter war arm, man konnte sie einfach auszahlen. Ihr Vater hingegen stammte aus einer privilegierten Familie und mußte für sein Vergnügen nicht bezahlen. Da war ihr der Gedanke durch den Kopf gegangen, daß das ganze System Leute wie sie stets benachteiligte und daß sich daran nie etwas ändern würde. Seltsam, daß er dieses Gefühl so gut nachvollziehen konnte.
»Ja, und das ist es immer noch.«
»Nun, sag mir, was du von mir willst. Sag es mir, dann können wir darüber reden.«
Ursprünglich war sie hergekommen, um für sich und Fran alles herauszuschlagen, was man sich nur vorstellen konnte. Sie hatte ihm klarmachen wollen, daß im zwanzigsten Jahrhundert die Reichen nicht mehr bei allem, was sie taten, ungeschoren davonkamen. Aber irgendwie fiel es ihr schwer, das jenem Mann zu sagen, der ihr so unbefangen und wohlwollend gegenübersaß und allem Anschein nach erfreut und keineswegs
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