Die Jägerin (Die Anfänge) (German Edition)
setzen.
Ich nickte nur verschreckt und glotzte ihn an. In meiner verkrampften Hand spürte ich das Papier des Bildes.
„Was ist los?“, fragte der Pater, dem mein erstarrtes Ich nicht entgangen war.
„Nichts!“, rief ich hastig aus und wusste sofort, dass es verräterisch geklungen hatte. Pater Michaels prüfende Blicke wanderten über meine Gestalt. Vielleicht überlegte er, ob seine Eifersucht vom Vortag doch angebracht gewesen war und Mister Meyers versteckte sich nach einer wilden Nacht unter meinem Bett. Dann aber fand er das Papier in meiner Hand. „Was hast du da, Ada?“
Ich seufzte und gab mich geschlagen. Bereitwillig öffnete ich die Faust.
Das Papier knisterte, als er es ausbreitete. Er nahm sich einige Momente Zeit, um es zu betrachten. Falten gruben sich in seine Stirn. Ich war mir nicht sicher, ob er nur nachgrübelte oder sich Sorgen machte. „Es ist ganz zerknittert. Hast du es die ganze Nacht über festgehalten?“, fragte er mich und gab mir das Bild wieder zurück.
Eilig zog ich es aus seiner Hand und strich es auf der Bettdecke glatt. Es brachte allerdings nicht viel, und ich ärgerte mich über mich selbst, weil ich nicht besser darauf aufgepasst hatte. „Ich hielt es in der Hand, als ich einschlief, und heute Morgen hatte ich es immer noch in der Hand,“ beantwortete ich seine Frage, ohne dabei aufzublicken.
„Ada,“ flüsterte er. Seine Stimme klang sorgenvoll.
„Ich will es behalten!“, sagte ich schnell, damit er nicht weiter sprach. „Ich will es behalten. Können wir es nicht behalten, Michael?“, flehte ich ihn an. Ich war näher zu ihm gerutscht und legte das Bild unseres Babys so hin, dass auch er es gut sehen konnte. Es war ziemlich unfair von mir, aber ich sah eine gewisse Chance ihn umzustimmen. Meine Hoffnungen wurden aber rasch zerstört.
Der Pater nahm das Bild und legte es umgedreht auf meinen Nachttisch. „Wir haben bereits darüber gesprochen, Ada. Es geht nicht,“ sagte er ruhig und sah mich ernst an. „Bitte, Michael, bitte,“ flehte ich ihn an und lehnte mich weiter zu ihm.
„Es geht nicht, Ada. Das hier ist kein Leben für ein Kind. In der Dunkelheit. Ohne die Natur. Ein Kind braucht andere Menschen; andere Kinder um es herum. Du kannst ihm das nicht geben, Ada. Soll es in dem Glauben aufwachsen, dass das die einzige Welt ist, die es gibt? Willst du ihm vorenthalten, was an schönen Dingen da draußen auf es warten?“, fragte er mich und sah mich erwartungsvoll an. Als ich nichts erwiderte, fuhr er mit seinen Fragen fort. „Es ist schon schwer für dich gewesen, Ada. Was glaubst du wohl, wie es einem Kind dabei ergehen würde? Wie soll es begreifen, dass es niemals durch das Kirchenportal hinausgehen darf? Niemals jenseits der Gartenmauern spielen darf? Wie willst du es ihm erklären?“
Ich wusste keine Antworten auf all diese Fragen. Aber ich war mir sicher, dass ich eine Lösung finden würde, wenn es soweit war. Mir stiegen Tränen in die Augen. Als Pater Michael es sah, hörte ich, wie er schwer schluckte. „Unser Kind wird ein gutes und beschütztes Leben haben, und das ist es doch, was wir uns beide wünschen, nicht wahr?“, fragte er mich in leisem und ruhigem Ton.
Natürlich war es das, was ich mir für mein Baby wünschte, aber ich wollte selbst dieser Mensch sein, der dafür sorgte, dass es sicher und behütet aufwuchs und nicht irgendwelche fremden vertrockneten Kirchenfrauen! „Bitte, Michael,“ versuchte ich es erneut.
Pater Michael sah mich eindringlich an. Eine Ewigkeit verging, ohne dass er etwas sagte, und ich dachte schon, dass er es sich anders überlegt hatte. Seine Lippen wurden schmal, als er nachdachte. Seine Blicke huschten über mein Gesicht, dann zu meinem Bauch und dann zu dem Bild auf dem Nachttisch. In seinen Augen konnte ich die Bilder seiner Gedanken an eine Zukunft für uns Drei sehen. Aber so schnell wie sie aufgetaucht waren, waren sie auch wieder verschwunden. Er sah auf die Bettdecke und schüttelte den Kopf. „Nein, Ada!“, sagte er bestimmt und stand vom Bett auf. Als er mich ansah, war sein Blick finster, und ich wusste, dass die Diskussion zu Ende war und es auch keine weitere über diese Angelegenheit geben würde.
Ich musste den Kloß, der in meiner Kehle saß, mit Mühe hinunterschlucken. „Ich hasse dich,“ flüsterte ich.
Seine Augen weiteten sich für einen Moment vor Entsetzen, dann fiel sein Gesicht nahezu vor Traurigkeit in sich zusammen. Ich sah, wie sehr meine Worte ihn
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