Die Jägerin (Die Anfänge) (German Edition)
ich den Bodenbelag beiseitegeschoben, damit ich die Muster genauer betrachten konnte. Mit meinen Fingern hatte ich die kreisförmigen Ornamente und Blumen nachgezeichnet und die verblassten Farben bewundert, wobei ich mir vorstellte, wie die Künstler von damals hier gesessen haben mussten, um die kleinen Steinchen mit größter Sorgfalt anzuordnen und auf dem Boden zu befestigen.
In jeder Ecke standen Lampen, und an der Decke hing ein großer breiter Kronleuchter, der alles in ein warmes, gelbes Licht tauchte. Die Malereien an der Wohnzimmerdecke ließen den Raum wie eine Kapelle wirken. Ich konnte stundenlang auf dem Boden liegen und mir die Engel auf ihren Wolken ansehen.
Ein großes, braunes Sofa stand an einer kurzen Wand. Der Stoff und die Kissen mit ihren üppigen goldenen und silbernen Stickereien waren so weich, sodass man darin versank, sobald man sich daraufsetzte. Es war ultrabequem und lud schon mit seinem bloßen Anblick zum Einkuscheln ein. Darüber hingen wunderschöne Landschaftsbilder von Malern, die Pater Michael wahrscheinlich persönlich gekannt hatte, wie ich vermutete. Vor dem Sofa stand ein niedriger Glastisch, auf dem ein paar Zeitschriften lagen. Sie waren schon etwas zerfleddert, weil wir sie uns schon so oft angesehen hatten. Schräg vor dem Tisch befand sich ein kleiner Schrank, auf dem ein Fernseher stand. Es war nicht das Neueste vom Neuesten. Aber für unsere Zwecke reichte er vollkommen aus, und Pater Michael schaute sowieso nicht viel fern.
Auch hier gab es Regale mit Büchern, wobei diese sich alle nur um ein Thema drehten: Religion und Kirche. Pater Michael hatte sich über die Jahrhunderte eine „kleine“ Sammlung von verschiedenen Ausgaben der Bibel zugelegt. Ich hatte nicht einmal gewusst, dass es so viele Auflagen davon gab. Aber hier standen die unglaublichsten Exemplare. Jedes Buch war anders. Pater Michael besaß Bibeln in Latein und Griechisch. Es gab handgeschriebene Texte auf Pergament, die mit wunderschönen Illustrationen geschmückt waren, deren Farben noch heute leuchteten. Karmin, Ocker, Malachitgrün, Ultramarin und Safrangelb. Daneben standen gedruckte Exemplare, deren Einbände mal schlicht und einfach waren und dann wieder vor Prunk nur so strotzten. Es gab simple Buchdeckel, die aus Holz bestanden und nur mit wenigen Schnitzereien, wie Kreuzen oder Blumen, verziert waren. Daneben standen Bibeln mit braunen Ledereinbänden und roten Stoffeinbänden, auf denen goldene Buchstaben strahlten. Manche waren sogar mit Seide bezogen und aufwendige Stickereien von Heiligen und Engeln brachten den Betrachter zum Staunen. Am wundervollsten jedoch war eine Bibel, die mit Elfenbein, Perlen und Edelsteinen besetzt war. Allerdings gab es auch ein Exemplar, das mich immer nachdenklich und traurig stimmte. Es war ein Buch, das Brandspuren aufwies. Pater Michael hatte es in einen Kasten aus Glas gelegt, weil es porös und sehr empfindlich war. Als ich ihn nach der Geschichte hinter diesem Buch gefragt hatte, war sein Gesicht zu einer steinernen Maske geworden, und er hatte mir nicht geantwortet.
Zwischen zwei Regalen war noch ein Schreibtisch. Sein Holz war alt und abgenutzt, und manchmal, wenn der Pater daran saß und sich darauf aufstützte, konnte ich die Holzwürmer darin schreien hören, weil ihnen angst und bange wurde, da ihr Zuhause kurz davor war zusammenzubrechen. Ich hatte Pater Michael den Vorschlag gemacht, den Tisch entsorgen zu lassen. Aber er hatte mir nicht zuhören wollen. Er wehrte sich mit aller Kraft dagegen, dass dieses antike Ding aus dem Raum verschwand. Vielleicht hatte ihm der Tisch schon als kleiner Junge gehört, und es war ein Andenken an eine längst vergangene Zeit, an die er sich gern zurückerinnerte. Als meine Augen über den Computer wanderten, sah ich den Geist von Pater Michael davor sitzen und sich über die Tastatur beugen. So oft hatte ich ihn schon dort hocken gesehen, sodass es mir nicht schwer fiel, ihn mir vorzustellen. Und ich erinnerte mich an einen Tag, als ich versucht hatte, seinen musikalischen Horizont zu erweitern.
41. Ein schwieriger Fall
Pater Michael saß an seinem alten Schreibtisch und verbrachte seine Zeit mit irgendeiner langweiligen Recherche. Ich dagegen lümmelte auf dem Sofa und beschäftigte mich mit Kreuzworträtseln. Der Raum wurde von den Klängen klassischer Musik erfüllt, die ich schon zum x-ten Male gehört hatte. Ich konnte mittlerweile ganz genau sagen, wann welche Platte ein Knacken von
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