Die Jaegerin
Blick geradeaus gerichtet, doch nichts deutete darauf hin, dass er sich fürchtete. Zweifelsohne hatte auch er von den Morden gehört, die sich in den Schatten zwischen den eng stehenden Häusern ereignet hatten. Doch junge Männer wie er fühlten sich unsterblich. Sie glaubten, nichts und niemand könne ihnen etwas anhaben. Vermutlich war er davon überzeugt, mit seiner Stärke und Gewandtheit jeden Angreifer besiegen zu können. Aber konnte er es auch mit den Waffen einer Frau aufnehmen?
Es war an der Zeit, den Reiz der Jagd zu steigern. Hatte sie sich davor nahezu lautlos bewegt, setzte sie ihre Absätze nun bei jedem Schritt vernehmlich auf das Kopfsteinpflaster. Das Geräusch ihrer Schritte wurde emporgetragen und hallte von den Wänden wider. Er hielt inne und sah sich um. Natürlich konnte er sie in den Schatten nicht erkennen, denn seine Augen waren die eines normalen Menschen. Die Dunkelheit war sein Feind und verbarg, was ihm bald zum Verhängnis werden würde. Er kniff die Augen zusammen und spähte angestrengt in die Finsternis.
»Ist da jemand?«, rief er.
Noch lag keine Furcht in seiner Stimme. Vielmehr waren es Neugierde und Wagemut, die sie darin fand. Statt zu antworten, fuhr sie mit ihren Klauen über die Wand. Das Kreischen, das daraufhin erklang, ließ ihn zurückfahren. Hektisch fuhr sein Blick durch die Gasse, streifte über die hohen schwarzen Häuserwände und zuckte von einer Seite zur anderen. Sein Mut war verflogen.
Es war an der Zeit, die Schlinge zuzuziehen. Als er kehrtmachte und seinen Weg – diesmal schneller – fortsetzte, stolperte sie hinter ihm aus dem Schatten in den schwachen Lichtkreis einer Laterne und zwang ein hilfloses Schluchzen aus ihrer Kehle.
»Bitte«, flehte sie und fiel auf die Knie, »verschonen Sie mich!«
Als er ihre Stimme vernahm, blieb er erneut stehen und wandte sich um. »Hab keine Angst«, sagte er sanft zu ihr und kam langsam näher. Seine Furcht war gewichen. Die Vorsicht, mit der er sich auf sie zubewegte, rührte nun einzig und allein daher, dass er sie nicht erschrecken wollte. »Ich will dir nichts tun. Ich dachte, jemand verfolgt mich.«
Nur wenige Schritte von ihr entfernt blieb er stehen. Wie jung er war – und noch immer ahnungslos! Ein herrliches Spielzeug, dessen Anblick ihr Blut zum Kochen brachte!
»Du solltest um diese Zeit nicht mehr allein hier draußen sein«, sagte er und streckte ihr die Hand entgegen. »Komm, ich bringe dich nach Hause.« Als sie nach seinen Fingern griff, half er ihr auf die Beine. »Bei Gott, Mädchen, deine Hände sind ja eiskalt!« Er zog seinen Rock aus und legte ihn ihr um die Schultern. Die Wärme und der Geruch seines Körpers hingen im Stoff und legten sich wie eine Decke über sie. Voller Leben … »Wo musst du hin!«
»Dort entlang.« Sie deutete in die Gasse. »Mein Vater sagte, dass ich vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause sein muss, doch Mrs Flannigan wollte mich nicht gehen lassen«, schniefte sie. »Sie hatte immer neue Aufgaben für mich, und als ich endlich mit allem fertig war, dämmerte es bereits. Ich habe kein Geld für eine Droschke, deshalb musste ich zu Fuß gehen …«
»Keine Sorge, ich bringe dich sicher nach Hause«, sagte er und legte ihr einen Arm um die Schultern. Eine Geste des Schutzes, doch sie spürte, dass darin weit mehr lag. Womöglich war es ihm nicht bewusst, doch sie konnte sein Begehren riechen.
»Wie ist dein Name?« Während sie dem Verlauf der steil abfallenden Gasse folgten, rückte sie näher an ihn heran.
»William.«
»Du bist stark, William«, stellte sie fest und ließ ihre Hand langsam über seinen Rücken nach unten gleiten. Ihrer unausgesprochenen Aufforderung konnte er nicht widerstehen. Er schlang einen Arm um ihre Taille, zog sie an sich und küsste sie. Als sie seinen Kuss erwiderte, schob er sie in einen schmalen Durchlass zwischen zwei Häusern und drängte sie an die Wand. Seine Hände glitten über ihren Körper, während sein Kuss leidenschaftlicher wurde und seine Zunge Einlass in ihren Mund suchte. Da biss sie ihn in die Lippe, bis sie sein Blut schmeckte; süß und verlockend.
»Du bist reichlich ungestüm!« William stieß ein unterdrücktes Lachen aus und zog sie enger an sich. Da packte sie ihn beim Rockaufschlag, drehte ihn herum und presste ihn an die Wand. Seine Erregung wuchs. Als sie ihm zwischen die Beine griff, stöhnte er lustvoll und ließ seine Hände über ihre Brüste gleiten. Ihre Lippen wanderten von seinem Mund über
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