Die Jaegerin
vorgehen!«
Alexandra kniff die Augen zusammen. »Was ist eigentlich los mit dir? Wir haben das gleiche Ziel! Warum bekämpfst du mich ?«
Selbst hier im Halbdunkel glaubte sie ein feindseliges Glitzern in seinen Augen zu erkennen. »Dein Bruder war unser bester Freund«, sagte er schließlich. »Wir tun das für ihn. Nicht für dich. Also nimm dich nicht wichtiger, als du bist!«
Obwohl es ihr, wie jedes Mal, wenn die Sprache auf ihren Bruder kam, die Kehle zusammenschnürte, würgte sie hervor: »Das hat nichts mit Viktor zu tun! Du willst mich für etwas bestrafen und ich habe nicht die geringste Ahnung warum! Was habe ich dir getan?«
»Du bist kalt wie Eis! Menschen sind für dich nichts weiter als ein Mittel zum Zweck. Also wirf mir nicht vor, wenn ich dich wie ein Werkzeug behandle!« Er verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. »Gavril läuft dir seit Jahren wie ein treuer Hund hinterher und du weist ihn wieder und wieder aufs Neue zurück! Du hast kein Herz, Alexandra Boroi.« Während seine letzten Worte noch in ihren Ohren klangen, machte er kehrt und stapfte mit weit ausgreifenden Schritten davon. Alexandra blieb allein in der Dunkelheit zurück.
Vladimir hatte recht. Sie hatte kein Herz. Sie kannte keine Furcht und auch keine Freude. Nur Hass und Wut. Jedes andere Gefühl in ihr war tot – gestorben mit ihrer Familie. Das Einzige, was sie am Leben hielt, war der Wunsch nach Rache. Sie würde diese Kreaturen jagen und eine nach der anderen zur Strecke bringen, bis sie ihn endlich fand. Während der letzten Jahre hatte es nichts gegeben, was sie von ihrer Aufgabe abgelenkt hatte. Keine Freunde. Keine Liebhaber. Nichts. Selbst ihre Begleiter, die untereinander enge freundschaftliche Bindungen hatten, betrachtete sie lediglich als Verbündete im Kampf gegen die Mächte der Finsternis. Ein Mittel zum Zweck – Vladimir hatte es richtig erkannt. Alexandra hielt sich von anderen fern und erlaubte sich keine Schwächen. Nichts sollte sie davon abhalten, ihr Werk zu Ende zu bringen! Ihr Blick ruhte auf jener Stelle, an der die staubigen Reste der vernichteten Kreatur langsam vom Wind aufgenommen und davongetragen wurden. Wie sehr sie diese Monster hasste! Ein Vampyr hatte ihr Leben zerstört. Sie würde nicht ruhen, ehe nicht auch der letzte zu Staub zerfallen war!
2
Es war herrlich, den Mann zu jagen. Ansehnlich war er, jung und nicht mehr ganz unschuldig. Noch ahnte er nichts von der Gefahr, in der er sich befand. Doch das würde sich bald ändern. Sie liebte es, die Furcht ihrer Beute zu spüren! Es erhöhte den Reiz, wenn sie um ihr Leben liefen und dann, sobald sie erkannten, dass es kein Entrinnen mehr gab, um Gnade flehten. Aber sie kannte kein Erbarmen. Nie! Auch heute Nacht würde sie ihre Beute erlegen, ohne zu zögern.
Sie hatte ihn auf der High Street gesehen, wo er mit einigen anderen Männern zusammengestanden war. Die Gruppe hatte die Köpfe zusammengesteckt und über eine junge Frau gesprochen, die an ihnen vorüberkam. Ein hübsches Ding, dessen Anblick ihnen anzügliche Bemerkungen entlockte und sie zu derben Scherzen verleitete. Nur er hatte kein Wort gesagt und dem Mädchen lediglich schweigend hinterhergesehen. Die Lust in seinem Blick jedoch war unverkennbar. Er würde ein leichtes Opfer sein! Kurz darauf – es war inzwischen dunkel – hatte er sich von seinen Kameraden getrennt und war von der High Street in den Mary King’s Close getreten. Der Close war ein wundervolles Jagdrevier. Enge, verwinkelte Gassen im Schatten hoher Häuserschluchten. Hier herrschte ständige Dämmerung. Selbst bei Tag vermochte kaum ein Sonnenstrahl den Boden zu berühren. Nachts jedoch war die Dunkelheit beinahe undurchdringlich. Im Schein der wenigen Laternen, die in großen Abständen an den dunklen Hausfassaden angebracht waren, schienen die Schatten nur noch weiter anzuwachsen. Fahles Mondlicht tauchte die oberen Stockwerke in silbernen Schein. Darunter lag die Finsternis. Ein Labyrinth aus Sackgassen, Hinterhöfen und schmalen Wegen. Tagsüber brodelnd vor Leben, jetzt jedoch, nach Einbruch der Dunkelheit, verlassen und still. Seit sie hier jagte, wagte sich kaum jemand mehr des Nächtens aus dem Haus. Dass er noch unterwegs war, erschien ihr wie ein Geschenk.
»Ein wenig Glück gehört zu jeder guten Jagd«, flüsterte sie.
Wie ahnungslos er dem Verlauf der Gasse folgte. Als könne ihm nichts etwas anhaben. Seine hellen Locken hoben sich deutlich von der Dunkelheit ab. Er ging schnell, den
Weitere Kostenlose Bücher