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Die Jaegerin

Die Jaegerin

Titel: Die Jaegerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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Alexandra lauschte. Sie gab rasch mehr Leine und spürte, wie der Eimer auf die Wasseroberfläche schlug, doch sie hörte kaum mehr als ein gedämpftes Plätschern. Er hatte die Kutsche also verlassen. Die unnatürliche Stille war ein untrügliches Zeichen für seine Gegenwart. Jemandem, der nicht wusste, worauf er zu achten hatte, würde sie nicht einmal auffallen. Alexandra aber kannte die Anzeichen. Geräusche klangen dumpfer, seltsam verzerrt und gedämpft. So wie der Eimer, der die Wasseroberfläche vernehmlich hätte treffen müssen. Diese Kreaturen waren gerissen. Sie verstanden sich darauf, ihre eigenen Geräusche auszublenden. Damit veränderten sie jedoch auch andere Laute in ihrer direkten Umgebung. Nicht wesentlich, doch ausreichend, um Alexandra darauf aufmerksam zu machen. Eine unnatürliche Kälte hüllte sie nun ein, als habe ihr die Nacht selbst einen eisigen Mantel um die Schultern gelegt. Noch immer wandte Alexandra sich nicht um. Er kam näher. Schritt für Schritt. Seine Gegenwart verursachte ein eisiges Prickeln auf ihrer Haut. Sie beugte sich weiter über den Brunnen und gab vor, mit dem Eimer und dem Seil zu hantieren. Ihre langen schwarzen Locken fielen wie ein Schleier nach vorne und schränkten ihre Sicht ein. Der Drang, sich umzudrehen, wurde stärker. Vladimir, wo bleibt ihr? Sie durfte sich nichts anmerken lassen! Eine schmerzhafte Gänsehaut kroch über ihren Rücken, als er näher herankam. Wie weit war er noch entfernt? Sechs Schritte? Bestenfalls zehn. Eindeutig zu nah! Ihre Hand glitt unter den Gehrock; nach hinten, an den Hosenbund. Ihre Finger ertasteten den festen Griff der Pistole, die dort in ihrem Gürtel steckte. Sie hatte nicht vor, die Waffe zu ziehen – noch nicht. Allein die bloße Berührung verlieh ihr ein Gefühl von Sicherheit. Geräusche, die sie zuvor noch deutlich vernommen hatte, drangen jetzt nicht mehr durch die Aura der Stille, die ihn umgab. Das Wiehern der Pferde war ebenso verklungen wie die Stimmen des Kutschers und des Stallburschen. Selbst aus dem Haus unmittelbar neben ihr war nichts mehr zu hören. Die Kälte wurde mit jedem Atemzug undurchdringlicher. Mein Gott, wie nah ist er! Fünf Schritte? Drei? Ihre Finger schlossen sich um die Pistole. Sie konnte nicht länger warten. Da hörte sie plötzlich etwas. Ein Knirschen, so leise, dass es kaum vernehmbar war. Schritte! Endlich! Dann ein Fauchen, direkt neben ihrem Ohr. Alexandra fuhr herum und starrte in die farblosen Augen der Kreatur. Sie hatte gewusst, dass das Wesen nicht mehr weit entfernt war. Dass es bereits so nah war, hatte sie nicht geahnt! Einen Herzschlag später hätte es ihr seine Fänge in den Hals geschlagen! Und ihr wäre keine Zeit mehr geblieben, die Waffe zu ziehen. Ihrem Instinkt folgend hatte sie noch in der Drehung nach dem Ginsterstrauch gegriffen, einen Zweig abgerupft und schlug nun damit nach ihrem Gegenüber. Fauchend wich die Kreatur einige Zoll zurück. Dann wurde sie von Alexandra fortgerissen.
    Mihail hielt die sich windende und knurrende Kreatur gepackt und versuchte sie ruhig zu halten, damit Vladimir es zu Ende bringen konnte. Der gedrungene Krieger hielt einen Silberdolch in der Hand und visierte sein Ziel an. Einen Wimpernschlag später stieß er zu. Die Klinge bohrte sich in das Herz des Wesens. Ein unmenschliches Kreischen zerriss die Nacht, dann zerfiel die Kreatur unter Mihails Griff zu Staub. Helle Flocken, die langsam zu Boden rieselten und sich dort zu einem kleinen Häufchen türmten. Alexandra glaubte noch immer zu sehen, wie das Monster sie aus gierigen, farblosen Augen anstarrte.
    Mihail klopfte sich den Staub von den Händen und wandte sich ihr zu. »Alles in Ordnung?«
    Alexandra nickte. Sie wusste, es lag nicht an dem drahtigen Mann, dass sie so spät gekommen waren. Sie musste nur in Vladimirs Gesicht blicken, um zu erkennen, dass er dahintersteckte.
    Mihail strich sich das glatte schwarze Haar aus der Stirn. »Es ist kalt. Gehen wir rein.« Er wandte sich um und war schon nach wenigen Schritten mit den Schatten verschmolzen.
    Vladimir wollte ihm folgen, doch Alexandra hielt ihn am Arm zurück. »Nächstes Mal lass ihn nicht so nah herankommen! Sonst habe ich das letzte Mal den Köder für dich gespielt!«
    »Stell dich nicht so an!« Vladimir streifte ihre Hand mit einem Ruck ab. Er war einen halben Kopf kleiner als sie, dafür aber doppelt so breit. »Ich führe diese Gruppe an. Du wirst schon mir die Entscheidung überlassen müssen, wie wir

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