Die Jagd nach dem Vampir
sich sicher noch einschieben.«
Kit und ich dankten ihm für seine Gastfreundschaft, bevor wir uns auf den Weg machten. Wir schlüpften durch die Lücke zwischen den Bäumen und gelangten auf den ebenen Pfad, der sich an der Nordweide von Anscombe Manor entlangzog. Es tat mir leid, Leo allein im Regen zurückzulassen, aber nachdem ich seinen Abenteuern im australischen Busch gelauscht hatte, stimmte ich Kit zu: Leo war ein Mann, der gern unabhängig war.
»Nun«, sagte ich, indem ich einer mit Regenwasser gefüllten Pfütze auswich, »Leo ist nicht Rendor. Er ist weder dürr noch bleich, und er trägt die falschen Stiefel. Außerdem ist er zu nett, um als unheimlicher Pseudovampir Kindern nachzustellen. Also hast du wegen der Fußspuren von Anfang an recht gehabt. Rendor muss auf dem Weg nach Aldercot Hall gewesen sein.« Ich blieb stehen und sah Kit erschrocken an. »Vielleicht versetzt er gerade die DuCarals in Angst und Schrecken.«
»Oder er ist ihr Gast«, entgegnete Kit. »Wir werden es nicht erfahren, bevor wir ihnen einen Besuch abstatten, und heute besuchen wir sie gewiss nicht mehr. Es ist zu weit, und wir kämen vielleicht erst im Dunkeln zurück. Wir sollten morgen bei den DuCarals vorbeischauen.«
»Ich bin dabei«, sagte ich.
Kit nickte. »Inzwischen werde ich mit dem Personal über Sicherheitsmaßnahmen reden. Wir sind hier immer wachsam, aber bis wir mehr über Rendor wissen, werden wir noch wachsamer sein.«
»Du solltest ihnen auch von Leo erzählen«, sagte ich. »Schließlich wollen wir nicht, dass ihn einer der jungen Hengste für den Bösewicht hält.«
»Ich sorge dafür, dass man Leo in Ruhe lässt.« Kit zögerte kurz. »Andererseits wissen wir nicht, wer dieser Leo überhaupt ist. Er hat viel von seinen Jahren Down Under erzählt, aber über sein Leben in England hat er kaum gesprochen.«
»Er hat gesagt, dass er die Gegend gut kennt«, wandte ich ein. »Ich glaube ihm. Nur ein Ortsansässiger weiß, wie man nach Gypsy Hollow kommt.«
»Wohl wahr«, räumte Kit ein. »Und nur ein sehr alter Ortsansässiger weiß, dass die Zigeuner auf dem Weg zum Markt von Deeping dort lagerten, denn es gibt schon seit mindestens vierzig Jahren keinen Markt in Deeping mehr. Ich erinnere mich, dass meine Eltern davon sprachen. Und High Point …« Er lächelte versonnen. »Ich hatte ganz vergessen, dass Emma’s Hill früher High Point genannt wurde, aber als Leo es erwähnte, ist es mir wieder eingefallen.«
»Ich frage mich, auf was für einer sentimentalen Reise Leo sich befindet«, sagte ich nachdenklich. »Hat er hier allein gecampt, als er jung war, oder hatte er Gesellschaft?« Ich schnippte mit dem Finger und sah die Szene förmlich vor mir. »Ich weiß, was geschehen ist, Kit. Leo hat sich in eine Zigeunerin verliebt, aber das Mädchen war bereits einem jungen edlen Prinzen des Clans versprochen. Da flüchtete Leo nach Australien, um zu vergessen.«
»Gibt es Clans bei den Zigeunern?«, fragte Kit. »Und Prinzen?«
»Sei nicht so pedantisch! Stell dir einfach vor, wie schrecklich es sein muss, die Liebe deines Lebens zu finden und sie dann an einen anderen zu verlieren.« Träumerisch wanderte mein Blick über die regennasse Weide. »Stell dir nur vor, wie tragisch es wäre, wenn dir jemand deinen Seelengefährten entführt und deine einzige Hoffnung auf Glück zerstiebt. Ich wette, dass er sie im Innersten immer noch liebt. Ich wette, sie ist das einzige Mädchen, das er je geliebt hat. Er wünscht sich bestimmt, er wäre damals mit ihr nach Australien durchgebrannt. Sicherlich träumt er jede Nacht von …«
»Hör auf damit, Lori«, unterbrach mich Kit mit ungewohnter Schärfe. »Ich weiß, worauf du hinauswillst, und ich bitte dich, sofort damit aufzuhören.«
Rüde aus meinen romantischen Betrachtungen gerissen, starrte ich Kit erschrocken an. Ich hatte wirklich nicht an Kit gedacht, sondern nur an Leo.
»Ich will auf gar nichts hinaus«, protestierte ich.
»Hör einfach nur auf«, sagte Kit wütend. »Du wirst mich niemals überreden, Nell zu heiraten, also gib dir keine Mühe. Ein für alle Mal, ich werde sie nicht heiraten«, fuhr er hitzig fort. »Ich werde niemanden heiraten.«
So wütend hatte ich Kit erst ein einziges Mal erlebt, damals, als die mittlerweile verstorbene und von niemandem beklagte Prunella Hooper bösartige Gerüchte über ihn ausgestreut hatte. Ich hatte nicht vorgehabt, einen derartigen Ausbruch heraufzubeschwören, aber die Tatsache, dass er auf meine
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