Die Jagd nach dem Vampir
gehörten meinen verstorbenen Eltern, deren Geschmack weitaus extravaganter war als der meine.« Sie seufzte. »Der gute Bellamy. Er achtet so penibel auf die Dinge.«
»Mit Recht«, sagte ich. »Wir waren ziemlich schmutzig.«
»Ja, er sagte mir, Sie seien in den Sturm geraten«, erwiderte sie. »Ich hoffe, Sie finden nachher Ihren Heimweg.«
»Bestimmt«, versicherte ich.
»Bellamy erwähnte auch, dass Sie Amerikanerin sind, Lori. Wie lange sind Sie schon in England?«
»Fast acht Jahre. Ich lebe in einem Cottage hier in der Nähe, mit meinem Ehemann und meinen beiden Söhnen. Und einem Kindermädchen und einer Katze«, fügte ich wahrheitsgetreu hinzu.
Meine Antwort hatte keineswegs Charlottes Neugier erregt, wie ich angenommen hatte, sondern sie nickte nur höflich und wandte sich dann an Kit.
»Und Sie, Kit, wo wohnen Sie?«
»Ich habe eine Wohnung auf Anscombe Manor. Es liegt nicht weit von Loris Cottage entfernt.«
»Anscombe Manor«, wiederholte Charlotte, und hinter ihren Augen schien etwas einzufrieren. »Wie lange leben Sie schon dort?«
»Seit einigen Jahren, neuerdings wieder«, sagte Kit. »Aber ich habe auch meine frühen Kindertage dort verbracht. Das Herrenhaus gehörte früher einmal meiner Familie. Ich sollte die Wege eigentlich kennen, aber der Sturm …« Er unterbrach sich, weil Charlotte sich fast verschluckt hätte.
»Sie sind Christopher«, sagte sie und legte eine Hand auf die Brust. »Christopher Anscombe-Smith. Sie sind Sir Miles’ Sohn.«
Kit sah ebenso verblüfft drein wie Charlotte, und ich wusste warum. Nur eine Handvoll seiner besten Freunde kannten seinen vollen Namen, und keiner von uns benutzte ihn je. Und niemand, Kit eingeschlossen, sprach je über seinen Vater.
»Kannten Sie meinen Vater?«, fragte er Charlotte.
»Nicht sehr gut.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber ich kannte Ihre Mutter. Sie war mir vom Alter her näher als Ihr Vater. Sie hat recht jung geheiratet.«
Kits Blick wanderte zum Feuer. »Meine Mutter war einundzwanzig, als sie heiratete. Sie war fast zwanzig Jahre jünger als mein Vater.«
»Und sie ist jung gestorben«, seufzte Charlotte. »Was ist aus Sir Miles geworden? Ich habe den Kontakt zu ihm verloren, nachdem er wieder geheiratet hatte.«
Ich beobachtete Kit von der Seite und fragte mich, ob er Charlotte die Wahrheit sagen würde. Würde er ihr sagen, dass sein Vater sich nach einer langen schweren Geisteskrankheit erhängt hatte? Oder würde er nur sagen, dass Sir Miles Anscombe-Smith tot war?
»Er starb vor neun Jahren«, sagte Kit.
Ich senkte den Blick. Ich verübelte es ihm nicht, dass er die Einzelheiten des Todes seines Vaters vor Charlotte zurückhielt. Wenn mein Vater Selbstmord begangen hätte, wäre ich auch nicht bereit gewesen, darüber mit jemandem zu sprechen, den ich eben erst kennengelernt hatte.
»Das tut mir leid«, sagte Charlotte, und es klang, als meine sie es ehrlich. »Ah, da kommt Bellamy mit dem Tee. Ich weiß, es ist noch zu früh für Tee, aber nach Ihren Abenteuern wissen Sie ein warmes Getränk sicherlich zu schätzen.«
Nachdem er leise angeklopft hatte, betrat Mr Bellamy das Musikzimmer. Er schob einen dreistöckigen Teewagen vor sich her. Auf der oberen Etage standen ein prächtiges altes silbernes Teeservice und drei Porzellantassen, auf den beiden unteren Flächen Teller mit dem Gebäck, das eben noch in der Küche abgekühlt war. Mr Bellamy rollte den Teewagen in Charlottes Reichweite, verbeugte sich und zog sich zurück.
»Darf ich Ihnen eingießen?«, sagte Charlotte und legte das silberne Teesieb auf eine der Tassen.
Die Frage erinnerte mich auf unangenehme Weise daran, dass ich bereits in der Küche reichlich Flüssigkeit zu mir genommen hatte.
»Verzeihung«, sagte ich. »Dürfte ich bitte das Bad aufsuchen?«
»Aber sicherlich. Es liegt am anderen Ende des Flurs auf der rechten Seite.«
»Warten Sie bitte nicht auf mich«, sagte ich und erhob mich.
»Nehmen Sie sich Zeit, meine Liebe«, sagte Charlotte.
Ich spürte Kits misstrauischen Blick im Rücken, kümmerte mich jedoch nicht darum. Nachdem ich die Tür geschlossen und mich davon überzeugt hatte, dass ich den Flur für mich allein hatte, zog ich die Slipper aus und nahm sie in die eine Hand, während ich mit der anderen einen Zipfel des Kimonos hochhielt. Dann rannte ich so schnell ich konnte zur Toilette. Ich hatte vor, sie so schnell wieder zu verlassen, wie es die Natur zuließ, da ich auch noch eine kleine Exkursion vorhatte,
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