Die Jagd nach dem Vampir
Wandleuchters führte uns Mr Bellamy über einen Parkettboden zum Absatz einer von goldenen Adern durchzogenen weißen Marmortreppe, die den Blickfang einer Eingangshalle bildete.
Seit ich in England wohnte, hatte ich bereits einige prächtige Häuser gesehen, und auch einige beeindruckende Eingangshallen. Die großen Foyers waren in der Regel ausladend dekoriert, um die Besucher gleich zu Beginn zu beeindrucken. Der Großteil war mit Familienporträts, Spiegeln mit Goldrahmen, Wandtischchen, Stühlen mit zierlichen Beinen, Topffarnen und vielleicht einer oder zwei Sitzbänken aus Eichenholz ausgestattet. Meistens gab es einen Kamin, um den sich die Besucher versammeln konnten, nachdem man ihnen die Mäntel abgenommen hatte.
Die Eingangshalle von Aldercot zeigte jedoch wenig Ähnlichkeit mit den Hallen, die ich kannte. Gewiss, sie verfügte über einen Kamin, aber es brannte kein Feuer darin, und nicht einmal ein Häufchen Asche ließ vermuten, dass jemals ein Feuer dort gebrannt hatte. An den lederfarbenen Wänden hingen weder Gemälde noch Spiegel, und das Mobiliar bestand aus nicht mehr als drei schäbigen Teilen, die einsam in der Nähe der Vordertür gruppiert waren: einem verkratzten Schirmständer, einer zerfransten Kokosmatte und einem freistehenden Kleiderständer aus Metall, der auch in der Praxis eines Zahnarztes nicht aufgefallen wäre.
Das schummerige Licht betonte die höhlenartige Leere des Raums. Sonnenschutzvorhänge verbargen die großen Fenster zu beiden Seiten der Tür als auch das runde darüber. Man hatte sämtliche Glühbirnen aus dem Kristallleuchter entfernt, der von der Hallendecke herabhing, ebenso wie aus den vergoldeten Wandleuchtern, bis auf einen. Mein Blick wanderte von den kahlen Wänden zu dem nackten Parkettboden, und es kam mir vor, als betrachtete ich das Skelett eines Raums, den man seines dekorativen Fleisches beraubt hatte.
Die Kargheit verstärkte den Eindruck von Verfall, den ich beim ersten Anblick von Aldercot Hall empfunden hatte. Der vernachlässigte Garten, die fehlenden Glühbirnen, die Kälte in den Gängen und das reduzierte Personal ließen vermuten, dass Miss Charlotte nicht mehr so wohlhabend war wie sicherlich früher einmal.
Ich dachte an Mr DuCarals lange Krankheit und an den lähmenden Hirnschlag, den Mrs DuCaral erlitten hatte, und fragte mich, ob Miss Charlotte nach dem Tod ihrer Eltern in finanzielle Not geraten war. Vielleicht, dachte ich, musste sie ihre Möbel und anderen Besitz verkaufen und die Unterhaltskosten so weit wie möglich senken, um Aldercot Hall überhaupt halten zu können, das Gefäß der dunklen Geheimnisse, die zu bewahren sie geschworen hatte.
»Kommen Sie bitte hier entlang, Ms Shepherd.« Mr Bellamys Stimme hallte hohl in der Düsternis.
Erschreckt wurde mir bewusst, dass ich mich unwillkürlich vom Treppenabsatz entfernt hatte und unter dem unbeleuchteten Lüster stehen geblieben war.
»Verzeihung, Mr Bellamy«, murmelte ich und beeilte mich, ihm und Kit die Marmortreppe hinauf und durch einen Flur im ersten Stock zu folgen.
Auch hier lederfarbene Tapeten, spärliche Beleuchtung, Stille und die deprimierende Abwesenheit jeglichen Mobiliars. Als Mr Bellamy uns schließlich in das Musikzimmer brachte, kam es uns vor, als hätten wir nach einer langen Reise durch die Wüste eine Oase erreicht.
Im Gegensatz zur Eingangshalle war dieser Raum schlicht, aber elegant möbliert. Der Aubusson-Teppich sah aus, als habe man ihn gefärbt, damit er zu dem sanften Grün und den blassen Goldtönen der Seidentapeten und der steifen Brokatvorhänge passte. Ein halbes Dutzend goldgerahmte Landschaften hing an den Wänden, und um den schönen offenen Adam-Kamin waren ein paar ausgesuchte Antiquitäten – zwei Armsessel aus der Zeit George III., ein Säulentisch aus Mahagoni und ein Chippendale-Sofa – gruppiert worden. Im Kamin brannte ein bescheidenes Feuer, und der Sims wurde von einer Reihe Porzellanfigurinen geschmückt – einem Hirten, einer Hirtin und einer liebreizenden Milchmagd. Zwei Stehlampen mit gefransten Schirmen flankierten das Sofa. Zu meiner Überraschung waren beide erleuchtet.
Es gab noch einige andere bemerkenswerte Möbelstücke in diesem Raum, aber das krönende Juwel war ein glänzender schwarzer Konzertflügel. Er schob sich aus einem u-förmigen Alkoven in das Zimmer, von dessen Fenster man zweifellos einen wunderbaren Ausblick auf den Wald gehabt hätte. Aber auch dieses war mit schweren Brokatvorhängen
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