Die Jagd nach dem Vampir
gemacht und sich über Gott und die Welt unterhalten, wie es Frauen so tun. Nachdem sie mit mir schwanger wurde, kam sie nicht mehr so häufig, und mit dem Autounfall meiner Mutter verlor Charlotte ihre beste – ihre einzige – Freundin.«
»Und du hast deine Mutter verloren«, sagte ich. »Wie alt warst du damals?«
»Nicht ganz ein Jahr. Meine Mutter war vierundzwanzig.«
»So jung.« Ich schüttelte den Kopf. »Also hast du auch keine Erinnerungen an sie?«
»Nein, so frühe Erinnerungen hat man bekanntlich nicht, aber ich meine mich an ihr Lächeln zu erinnern. Sie muss eine sehr glückliche Frau gewesen sein, wenn sich ihr Lächeln so bei mir eingeprägt hat. Ich bin beinahe froh, dass sie den … Niedergang meines Vaters nicht mehr miterleben musste.«
»Manches stellt sich erst sehr spät als ein Segen heraus«, sagte ich leise. Ich schaute eine Weile auf die vorbeigleitende Landschaft, dann wandte ich mich Kit zu und fragte: »Wie ist deine Internet-Recherche verlaufen?«
»Ach«, sagte er und sah mich von der Seite an. »Ich bin gar nicht zum Recherchieren gekommen. Emma hat am Wochenende alle Computer im Büro neu eingerichtet.«
»Die neuen Stallburschen haben doch sicher Laptops dabei«, sagte ich. »Hättest du dir nicht einen ausleihen können?«
»Ich möchte ihnen keine Unannehmlichkeiten bereiten«, entgegnete Kit steif.
Wahrscheinlich wäre ich eher Olympiasiegerin im Hindernisreiten geworden, als dass Kit einen von Nells reichen jungen Verehrern um einen Gefallen gebeten hätte, doch ich sagte nur: »Mach dir deswegen keine Gedanken. Es gibt ja noch den Despatch .Ich hätte da übrigens noch eine brillante Idee.«
»Nur eine?« Kit hob eine Augenbraue.
»Ja«, sagte ich, »aber sie ist wirklich gut. Wir wollen doch zweifelsfrei beweisen, dass es Rendor gibt und dass er meine Kinder in Angst versetzt hat.«
»Sicher«, sagte Kit.
»Dafür brauche ich einen Beweis, den ich der Polizei vorlegen kann«, sagte ich. »Also sollten wir das Archiv des Despatch nicht nach Artikeln über die Familie DuCaral im Allgemeinen durchsuchen, sondern uns auf Einträge über den bösen Bruder mit den widernatürlichen Sehnsüchten konzentrieren. Die Polizei lacht mich aus, wenn ich ihnen von einem herumstreifenden Vampir erzähle, aber ich glaube nicht, dass sie lacht, wenn es um eine vermisste Person geht.«
»Dann werden sie etwas unternehmen müssen, um die vermisste Person zu finden.« Kit klopfte mir auf die Schulter. »Brillant.«
»Ich hab’s dir doch gesagt«, meinte ich selbstzufrieden und blickte durch die Windschutzscheibe auf die Kirchtürme von Upper Deeping.
Die Büros des Upper Deeping Despatch erstreckten sich über die ersten beiden Stockwerke eines vierstöckigen Gebäudes am größten Platz der Stadt. Kit fand nur einen recht weit entfernten Parkplatz, aber bei dem guten Wetter machte mir der kleine Fußmarsch nichts aus. Als wir auf dem Platz standen, hatte Kit plötzlich eine blendende Idee.
»Ich weiß, wie wir am besten Zugang zum Archiv erhalten«, sagte er. »Du, meine amerikanische Freundin, bist nach Upper Deeping gekommen, um Ahnenforschung zu betreiben, und hoffst, dass dir die Archive des Despatch bei deinem Projekt nützlich sein können.«
»Ich habe mich schon immer für Tante Penelopes Wurzeln interessiert«, sagte ich und rieb mir nachdenklich übers Kinn. Dann streckte ich die Hand aus und klopfte Kit auf die Schulter. »Brillant.«
Mit leichtem Bedauern tauschte ich Sonnenschein und leichten Wind gegen das nüchterne Ambiente und das kalte Licht der Neonröhren im Empfangszimmer des Despatch ein. Eine brusthohe Theke trennte den Wartebereich – zwei Plastikstühle, ein niedriger Tisch und ein Regal mit verschiedenen Ausgaben des Despatch ,manche bereits mit Eselsohren – von einem großen, unaufgeräumten Schreibtisch und einem Drehstuhl, der gerade nicht besetzt war.
»Hallo?«, rief Kit.
Aus der Ferne hörten wir eine gedämpfte Stimme. »Komme!«
Die Tür hinter dem Schreibtisch ging auf, und ein etwas pummeliger junger Mann in einem Tweedsakko und Twillhose trat an den Schreibtisch. Er hatte ein rundes, glänzendes Gesicht und schütteres braunes Haar. Hinter seinem rechten Ohr steckte ein Bleistift, und eine Brille mit Horngestell saß tief auf seiner Nase.
»Sorry«, sagte er, »unsere Sekretärin ist … ähm …« Mit kurzsichtigen Augen sah er sich um, als spielte die Sekretärin Verstecken mit ihm. »Offensichtlich nicht hier. Keine Ahnung, wo
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