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Die Jangada

Die Jangada

Titel: Die Jangada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Windrichtung hören müssen, denn er befand sich nur zwei Meilen davon entfernt.
    Ihn kümmerte die Zeit aber offenbar blutwenig. Er pflegte sich, so gut es ging, nach der Höhe der Sonne über dem Horizonte zu richten, und bei einem Abenteurer kommt es ja bei den gewöhnlichen Vorkommnissen des Tages auf militärische Pünktlichkeit nicht an. Er frühstückt oder ißt zu Mittag, wenn es ihm beliebt oder wenn es angeht. Er schläft, wo und wann die Müdigkeit ihn überwältigt. Wenn auch der Tisch für ihn nicht jeden Augenblick gedeckt ist, so findet er doch stets ein Bett am Fuße eines Baumes bereit, gleichgiltig ob in einem dichten Gebüsch oder im offenen Walde. Auf Bequemlichkeit machte Torres keine besonderen Ansprüche. Nachdem er den größten Theil des Morgens marschirt war, aß er ein wenig, und jetzt fühlte er auch das Bedürfniß zu schlafen. Zwei bis drei Stunden Ruhe mußten ihn wieder hinreichend kräftigen, seinen Weg fortzusetzen. Er streckte sich also so bequem wie möglich auf dem Grase aus, um zu schlummern.
    Torres gehörte jedoch nicht zu den Leuten, welche sich dem Schlafe überlassen, ohne hierzu gewisse Vorkehrungen getroffen zu haben. Er pflegte zunächst einen derben Schluck Branntwein zu nehmen und nachher eine Pfeife zu rauchen. Der Branntwein erregt das Gehirn und der Tabak verträgt sich gut mit dem Dunst des Traumes.
    Das war wenigstens seine Ansicht.
    Torres setzte zuerst also die Lippen an die Kürbisflasche, die er an der Seite trug. Diese enthielt von dem in Peru unter dem Namen »Chica« und am oberen Amazonenstrome speciell als »Caysuma« bekannten Likör. Es ist das ein Destillationsproduct aus der in Gährung übergegangenen süßen Maniocwurzel, welchem der Waldkapitän mit seinem etwas verwöhnten Gaumen eine tüchtige Menge Tafia beizumischen liebte.
    Als Torres einige Schlucke der Flüssigkeit verzehrt hatte, schüttelte er die Kürbisflasche und überzeugte sich mit Bedauern, daß dieselbe bald leer sei. »Werde ich wieder füllen müssen,« sagte er so vor sich hin.
    Dann zog er eine kurze hölzerne Pfeife hervor, stopfte sie mit dem scharfen groben Tabak, dessen Blätter von dem alten »Petun« (einer ganz schlechten Tabakssorte) herrühren, den Nicot zuerst nach Frankreich einführte und damit zur Einbürgerung der ertragreichsten und verbreitetsten der Solaneen ungemein viel beitrug.
    Dieser Tabak hat freilich nichts gemein mit dem Scaferlati erster Sorte, den die französischen Manufacturen produciren, Torres aber war in dieser Hinsicht ebenso wenig wählerisch wie nach vielen anderen Seiten. Er schlug am Stahl Feuer, entzündete eine Kleinigkeit von jener klebrigen Substanz, die unter dem Namen »Ameisenschwamm« – ein Absonderungsproduct gewisser Hymenopteren – bekannt ist, und setzte seine Pfeife in Brand.
    Beim zehnten Zuge schon schlossen sich seine Augen, die Pfeife glitt ihm aus der Hand und er schlief ein oder versank vielmehr in eine Art Halbtraum, der kein wirklicher Schlaf ist.
Fußnoten
    1 1000 Reis entsprechen etwa Mk. 2·40 = fl. 1·20; 1 Conto Reis = Mk. 2400 = fl. 1200.
Zweites Capitel.
Dieb und Bestohlener.
    Torres schlief seit etwa einer halben Stunde, als unter den Bäumen ein Geräusch entstand, so als wenn Jemand mit bloßen Füßen vorsichtig heranschliche, um nicht gehört zu werden. Wäre der Abenteurer in diesem Augenblicke munter gewesen, so hätte er sicherlich auf jede verdächtige Annäherung ein scharfes Auge gehabt. Von jenem leisen Geräusch erwachte er freilich nicht, und der Andere vermochte sich ihm unbemerkt bis auf zehn Schritte vom Baume zu nähern.
    Es war dies jedoch kein Mensch, sondern ein »Guariba«. Unter allen Affen mit Greiferschwanz, welche die Urwälder des Amazonenstromes bevölkern, wie die wirklich eleganten Sahuis, die gehörnten Sajus, die grauhaarigen Monos, die Saguins, welche auf ihrem fratzenhaften Gesicht eine Larve zu tragen scheinen – ist der Guariba unzweifelhaft der originellste. Gesellschaftlich und nicht eben bösartig, und in dieser Hinsicht sehr wesentlich verschieden von dem wilden, trägen »Mucura«, sucht er sich gewöhnlich anderen anzuschließen und wandert meist in größeren Trupps. Schon von fern verräth er seine Gegenwart durch den Lärmen monotoner Stimmen, der fast einem unmelodischen Kirchengesang ähnelt. Wenn er von Natur auch mehr gutmüthig ist, so darf man ihn doch nicht ohne gewisse Vorsicht angreifen. Auf jeden Fall ist, wie wir gleich sehen werden, ein eingeschlafener

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