Die Judas-Papiere
Und Dank für Ihre Hilfe!«
Byron rannte indessen schon zu Horatio zurück, setzte das Stemm eisen an und drückte es in die Ritze zwischen Abdeckung und Kas ten. Sofort packte Horatio zu, schob seine Hand in den Spalt und hob die Platte an.
Byron ließ das Stemmeisen fallen und half ihm, die Steinplatte auf zustellen, während hinter ihnen das bedrohliche Zischen der Zünd schnüre zu hören war, die sich dem Dynamit entgegenfraßen – so wie es auch die fünfzehn anderen Zündschnüre taten, die van Hel sing an die Stützpfeiler gebunden hatte.
Hastig lehnten sie die Platte mit der zu ihnen gekehrten Rückseite an die Wand und entdeckten sogleich die rätselhaften Zeichen, die Mortimer dort in Nackenhöhe des umseitigen Templerreliefs in den Stein geritzt hatte.
»Zum Teufel, was soll das sein?«, stieß Horatio hervor.
Byron zerrte Notizbuch und Stift aus der Jacke und beeilte sich, die Zeichen zu übertragen. Es kostete ihn große Willenskraft, nicht schludrig zu arbeiten.
»Herr im Himmel, geht es denn nicht etwas schneller?«, presste Ho ratio hervor und nun war ihm zum ersten Mal die unverhohlene Angst anzumerken, von der Explosion erfasst und unter Trümmern begraben zu werden. »Jeden Moment kann das verfluchte Dynamit hochgehen!«
»Nur noch drei Zeichen!«
»Die uns das Leben kosten können!«, erwiderte Horatio gequält, suchte sein Heil jedoch nicht in der Flucht, sondern blieb bei ihm. Er mochte eine Heidenangst haben, aber ein Feigling war er ganz sicher nicht.
Endlich hatte Byron das letzte Symbol abgezeichnet. »Jetzt gilt es, die Haut zu retten, Horatio! Rennen Sie, als ob Dracula persönlich hinter Ihnen her wäre!«, rief er und fast nebeneinander stürzten sie die Treppe hinauf.
Dann kamen die verwinkelten, langen Gänge, die sie hinter sich bringen mussten, um in den großen inneren Burghof zu gelangen.
Um ein Haar wären sie auch noch einem falschen Gang gefolgt, was unweigerlich ihren Tod bedeutet hätte. Horatio bemerkte ihren Feh ler gerade noch rechtzeitig und brüllte: »Nein, wir sind falsch! Auf der anderen Seite geht es zum Hoftor!« Nackte Todesangst lag in sei ner Stimme. Denn mittlerweile mussten die fünfzehn Minuten abge laufen sein und sie befanden sich noch immer nicht im Freien, ge schweige denn jenseits der Zugbrücke.
»Gebe Gott, dass Sie recht haben!«, keuchte Byron und rannte mit ihm zurück und den anderen Gang hinunter.
Es war der richtige. Und als sie hinaus in den Hof stürzten, fassten sie neue Hoffnung, dem Inferno, das jede Sekunde ausbrechen muss te, doch noch rechtzeitig zu entkommen.
Das Tor zum Vorhof stand weit offen. Von Harriet und Alistar war jedoch nichts zu sehen. Auch vom Buckligen, dem sie vorhin noch auf dem Weg hinunter in die Gruft begegnet waren, gab es weit und breit keine Spur. Aber von jenseits des Vorhofes und der Zugbrücke drangen Schreie und beschwörende Zurufe ihrer Gefährten zu ihnen herüber.
»Ich glaube, wir sind dem Tod noch mal von der Schippe gesprun gen!«, rief Horatio Byron zu, als sie den Vorhof erreicht hatten und nun auf das Torhaus und die dahinter liegende Zugbrücke zurannten.
In dem Moment zündete die erste Dynamitladung. Ein heftiger Stoß erschütterte den Boden und ließ den Felssporn der Burg bis in sein In nerstes erzittern. Ein furchterregendes Ächzen, Knirschen und Krei schen drang aus den Türmen und Mauern, als wäre unter ihnen im Fels ein Riese aus einem jahrhundertelangen Schlaf erwacht, hätte sich leicht gereckt und sie damit in ihren Grundfesten erschüttert.
Aber diese erste Explosion, bei der es sich zweifellos um jene in der Vampirgruft gehandelt hatte, war nichts im Vergleich zu der zweiten Detonation, die von dreifacher Sprengkraft war, die Einge weide der Burg zerfetzte und tiefe Gewölbe zum Einsturz brachte.
Byron und Horatio hatten den Eindruck, als bockte der Boden des Vorhofes unter ihren Füßen. Sie wurden hochgeschleudert, stürzten in den Schnee, waren im nächsten Moment wieder auf den Beinen und mobilisierten ihre letzten Kraftreserven, um durch das tiefe Tor-haus und über die Zugbrücke zu kommen. Sie wussten, dass gleich die Türme, unter denen sich die gesprengten Gewölbe befanden, einstürzen und riesige Teile aus der Mauer brechen würden. Die Zer störung der Burg würde nach dem Domino-Prinzip verlaufen. War erst eine Mauer gefallen, riss sie die anderen unaufhaltsam mit sich. Und dann würde auch die Zugbrücke den zerstörischen Kräften nicht länger
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