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Die Judas-Papiere

Die Judas-Papiere

Titel: Die Judas-Papiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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ihrer Charaktere hatten die zurückliegenden Ereignisse sie zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammengeschmiedet.
    »Ich bin mir ziemlich sicher, dass es sich bei diesen Zeichen um germanische Runen handelt«, sagte Byron nun. »Vermutlich aus der Zeit der Wikinger.«
    »Runen?«, fragte Harriet verblüfft.
    Byron nickte. »Nur eine kleine Elite der Nordmänner Skandinaviens und Germaniens beherrschte diese Schrift, die sich fast ausschließ lich als gravierte Inschriften auf Gerätschaften und Steindenkmälern findet«, erklärte er. »Sie hat sich nie zu einer Buch-und Urkunden schrift entwickelt, die das kollektive Gedächtnis dieser Kulturen hät te bewahren können. Es heißt, die Verwendung der Runen habe in Mitteleuropa so um 700 nach Christi und in England im zehnten Jahr hundert geendet, was wesentlich mit der christlichen Missionierung dieser Länder zu tun hat. Die lateinische Schrift hat die Runen rasch verdrängt.«
    »Schön und gut«, sagte Horatio ungeduldig. »Aber kannst du diese Runen auch lesen?«
    »Das wird sich zeigen«, erwiderte Byron zurückhaltend. »Denn da zu muss ich mir erst einmal das Runenalphabet in Erinnerung rufen. Es liegt schon einige Jahre zurück, dass ich mich in Oxford mit Runen beschäftigt habe, von denen es zudem verschiedene Ausprägungen gibt. Ich habe jedoch den Eindruck, dass es sich bei Mortimers Zei chen um die Runen des bekannteren Futhark-Alphabets handelt.«
    Damit schlug Byron die nächste leere Seite im Notizbuch auf, griff zu einem Stift und begann, die einzelnen Zeichen dieses Runen alphabets niederzuschreiben.
    Es ging ihm jedoch nicht so rasch von der Hand, wie seine Gefährten es sich gewünscht hätten. Denn immer wieder zögerte er, hielt inne und dachte angestrengt nach, bis er sich dann endlich entsann, wie die nächste Rune zu zeichnen war. So vergingen gut zehn, fünfzehn Minuten, in denen Alistair voller Ungeduld mit seinem Wein humpen spielte und sich eine Zigarette nach der anderen ansteckte. Aber dann hatte Byron endlich alle Runen zusammen.
    »So, hier ist es, das sogenannte Futhark-Alphabet!«, sagte er. »Und lasst euch nicht verwirren. Die Runen fangen nicht mit a, b, c und so weiter an, sondern haben eine andere, ganz eigene Reihenfolge.«

    »Dann nichts wie her mit Mortimers Runen!«, rief Alistair erwar tungsvoll. »Bin gespannt, wie der zweite Hinweis auf das Versteck des Judas-Evangeliums lautet!«
    »Nicht nur du, du Zappelhannes!«, sagte Harriet.
    Byron übertrug die Runen von Mortimers Botschaft unter das Al phabet, fügte der Logik folgend einen fehlenden Punkt hinzu und Augenblicke später hatten sie den zweiten Hinweis. Er lautete:

    »Kloster St. Simeon! Na, das lasse ich mir gefallen!«, sagte Alistair. »Endlich mal eine konkrete Angabe, mit der man was anfangen kann! Die Papyri liegen also unter irgendwelchen Ruinen im Kloster St. Si meon versteckt!«
    »Ich an deiner Stelle würde nicht gleich in Jubel ausbrechen und glauben, dass nun der Rest nur noch ein Klacks ist«, dämpfte Horatio seine Freude sogleich. »Denn weißt du überhaupt, wie viele Kloster dieses Namens es auf dem Balkan sowie in Russland, Griechenland und Gott weiß wo noch gibt? Es müssen Hunderte, wenn nicht gar Tausende sein, die den Namen des heiligen Simeon tragen!«
    Der Dämpfer saß. »Na gut«, brummte Alistair verdrossen. »Aber wir kommen dem Versteck damit immerhin schon mal ein Stück näher. Und wenn wir in Konstantinopel einen Blick in die ›Stimme des Pro pheten‹ geworfen haben, wird der Kreis der infrage kommenden Klöster bestimmt erheblich zusammenschrumpfen!«
    »Vermutlich«, sagte Harriet trocken. »Aber erst einmal müssen wir wissen, was diese ›Stimme des Propheten‹ ist, wie wir sie finden und wie wir ihr dann Mortimers Geheimnis entlocken können. Und wie ich diesen Irren inzwischen kenne, wird er es uns alles andere als leicht gemacht haben!«

18
    D as einzige Licht in der spartanisch kahlen Dachstube im Wiener Be zirk Alsergrund kam von den beiden faustdicken Kerzen, deren Wachs schwarz eingefärbt war. Unruhig tanzten die Flammen im kalten Wind, der durch die weit geöffnete Fensterluke ins Zimmer drang. Im mer wieder schienen sie verlöschen zu wollen, richteten sich jedoch nach jedem Windstoß trotzig wieder auf und setzten ihr Flackern fort.
    Graham Baynard, der mit entblößtem Oberkörper am Boden auf ei ner Matte aus Reisig kniete, trafen die kalten Windstöße wie Schläge mit einem zu Eis gefrorenen Tuch. Doch er

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