Die Judas-Papiere
beschaulichen Bahn geraten war.
An einem Tag war er finanziell ruiniert gewesen und hatte sich schon zu Lohnarbeit verdammt gesehen, doch wenige Tage später hatte er seine wertlosen Minenpapiere verkaufen und einen Bank scheck in Höhe von 25 000 Pfund auf sein Konto einzahlen können. Und dazwischen hatte er von dem geheimnisvollen Fund eines seit fast 2000 Jahren verschollenen Evangeliums des Judas erfahren, das genauso geheimnisvoll wieder verschwunden war. Es erschien ihm noch immer unwirklich, dass er sich mit zwei fremden Männern und einer fremden jungen Frau zwangsweise auf einer Reise befand, von der keiner von ihnen auch nur annähernd wusste, wie lange sie dau ern, wohin sie führen und wie sie enden würde.
Das alles kam ihm wie ein verstörender Traum vor! Ja, Horatio Slade hatte völlig recht, die Welt war verrückt. Absolut verrückt.
Aber das irrwitzige Reisejournal des geistesgestörten Mortimer Pembroke in der linken Innentasche seiner Anzugjacke, das dort spürbar gegen seine Brust drückte, bestätigte ihm, dass es sich kei neswegs um einen Traum handelte, sondern um Wirklichkeit. Lord Pembroke hatte es ihm in Dover kurz vor dem Auslaufen des Fähr dampfers überreicht und er hatte es in den letzten Stunden intensiv studiert, um das Hexagon zu finden – bislang jedoch vergeblich.
Byron staunte auch immer noch, wie schnell alles gegangen war und wie überstürzt sie zu dieser Reise hatten aufbrechen müssen. Er hatte gerade noch Zeit gehabt, am Sonntag einen langen, beruhigenden Brief an seine Schwestern Alice und Helen im Mädchenpensionat von Croydon zu schreiben, sich mit seiner langjährigen Haushälterin Martha Tinkerton über die Zeit seiner Abwesenheit zu besprechen, das Notwendige für diese Reise ins Ungewisse zu packen und sich am Montagmorgen bei seiner Bank zu versichern, dass der Scheck von Lord Pembroke auch gedeckt war und ihm die Summe sofort gutgeschrieben wurde. Und dann hatte er sich auch schon beeilen müssen, um mit seinem sperrigen Gepäck noch rechtzeitig auf dem Perron der Victoria Station einzutreffen. Denn ihr Zug nach Dover war schon um kurz nach zehn abgefahren.
Alistair McLean war noch später als er auf dem Bahnsteig erschie nen. Er hatte auf den schon anfahrenden Zug aufspringen müssen, wobei ihm sein lächerlicher Strohhut vom Kopf geweht und unter die Räder gekommen war, was Byron im Stillen für ein gutes Omen gehalten hatte.
»Dass wir vier gemeinsam das Rätsel um das Versteck dieser an geblichen Judas-Papyri lösen sollen, ist ja schon seltsam genug«, sag te Horatio und rieb sich frierend die Arme. »Aber ich frage mich, ob diese Schrift auch wirklich existiert.«
Byron hob leicht verwundert die Augenbrauen. »Davon gehe ich aus!«
»So? Ich nicht.«
»Und warum nicht, wenn ich fragen darf?«
»Was ist, wenn Mortimer Pembroke sich das alles in seinem Wahn sinn nur eingebildet hat und diese Papyri, die er da irgendwo in der Wüste gefunden hat, gar nicht aus der Feder von Judas Iskariot stam men, sondern zu jenen apokryphen Schriften gehören, die es in ähn licher Form schon zuhauf gibt?«, gab Horatio zu bedenken. »Kurzum: Wer sagt uns denn, dass diese angeblich uralte Schrift eines Jüngers Jesu nicht vielleicht völlig wertlos ist?«
»Lord Pembroke«, erwiderte Byron trocken und ohne einen Augen blick zu zögern. »Der Mann hat auf mich nicht den Eindruck eines spleenigen, weltfremden Mannes gemacht, der einem Hirngespinst nachjagt.«
»Der Mann ist versessen darauf, durch diese Papyri zu Weltruhm zu gelangen und in die Geschichtsbücher einzugehen! Sein Ehrgeiz, mehr als nur ein steinreicher, aber letztlich völlig bedeutungsloser Adliger zu sein, könnte ihn mit Blindheit geschlagen haben!«
»Gewiss, ganz auszuschließen ist das nicht, aber ich halte es bei Ar thur Pembroke für nicht wahrscheinlich. Vergessen Sie nicht, dass er diese Papyri selbst in Händen gehalten hat. Gewiss, das allein sagt noch nicht viel über ihre wahre Qualität und Echtheit aus, da Arthur Pembroke ja nicht die aramäische Sprache beherrscht. Aber er muss sich seiner Sache doch sehr sicher sein. Denn sonst hätte ein Mann wie er sich wohl kaum auf dieses kostspielige Abenteuer eingelassen!«
Horatio strich sich mit Daumen und Zeigefinger nachdenklich über den schwarzen Strich seines Oberlippenbartes. »Aber was ist, wenn sich das Versteck überhaupt nicht mehr finden lässt, weil Mortimer Pembroke in seiner geistigen Umnachtung nur noch Unsinn in dieses
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