Die Judas-Variante - V3
schätzte er, und zwar ohne die Ausbildung, die der Mann außerdem noch brauchte.
Aber sie hatten noch mindestens fünf Monate, bevor die letzte Phase der Operation anlaufen
würde.
Also reichlich Zeit. »Es wird Sie sechs bis acht Monate Ihres Lebens kosten«, sagte er.
»Angesichts der Umstände ist das aber kaum der Rede wert.«
»Ach was«, sagte Judas mit dem zynischen Grinsen eines Mannes, der sich mit einem berufsmäßigen
Spieler auf eine Pokerpartie eingelassen hatte. »Und was genau hätte ich in diesen sechs bis acht
Monaten zu tun?«
»Eine Aufgabe, die nur Sie erledigen können«, sagte Galway. »Wir brauchen Sie als
Doppelgänger.«
»Wie, läuft denn irgendwo noch ein Zwillingsbruder von mir rum?«
»Sie haben sogar zwei Zwillingsbrüder«, stellte Galway richtig und beobachtete ihn
aufmerksam. »Vielleicht noch mehr. Sehen Sie, Herr Judas... Sie sind ein Klon.«
Dem anderen verging das Grinsen. »Das ist eine Lüge«, sagte er mit plötzlich belegter
Stimme.
Galway wusste, dass das die richtige Reaktion war. Aber sie war doch etwas zu schnell, etwas zu
geübt, etwas zu perfekt. Judas hatte bereits Kenntnis davon, wer und was er war. Und es gab nur
einen Ort, wo er die Wahrheit hätte erfahren können. »Ich befürchte, Ihre Freunde haben Sie
belogen«, sagte er. »Nicht ich.«
»Welche Freunde?«
»Ihre Kontakte im Widerstand«, sagte Galway leise. »Und zwar diejenigen, die Sie seit Ihrer
Kindheit auf einen Spezialauftrag vorbereitet und die Sie und das Projekt dann vor etwas über
zwei Jahren aus unerfindlichen Gründen plötzlich im Stich gelassen haben.«
Judas war gut, das musste man ihm lassen. Man merkte ihm den emotionalen Schock kaum an, unter
dem er gewiss stehen musste, als er hörte, wie ein Sicherheitspräfekt seelenruhig vermeintlich
geheime Sachverhalte aus seinem Lebenslauf zitierte. »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie überhaupt
sprechen.«
»Natürlich nicht«, sagte Galway. »Das ist auch das zweite Angebot, das ich Ihnen mache: die
Chance, als Entschädigung für Ihre schäbige Behandlung einen Teil Ihrer wahren Identität
zurückzuerlangen. Interessiert?«
»Wieso machen Sie sich überhaupt die Mühe, mich das zu fragen?«, entgegnete Judas. »Fünfzehn Tage
Loyalitätskonditionierung, und ich würde sowieso nach Ihrer Pfeife tanzen.«
Galway zuckte die Achseln. In dieser Hinsicht hatte er sicher recht. »Das entspringt wohl meinen
persönlichen Moralvorstellungen«, sagte er. »Ich möchte, dass Sie in dieser Angelegenheit eine
gewisse Würde bewahren.«
»Eine falsche Würde.«
»Vielleicht«, sagte Galway. »Nur um das klarzustellen: Die Loyalitätskonditionierung würde doch
etwas länger dauern. Wenn wir nach den üblichen fünfzehn Tagen aufhörten, würden die Psychor-Barrieren, die Ihre Freunde vom Widerstand bei Ihnen installiert haben, nämlich
noch Lücken in der Konditionierung lassen. Trotzdem ein netter Versuch.«
Judas verzog das Gesicht. »Touche«, sagte er. »Habe ich noch Zeit, mich anzuziehen und mich von
meiner Frau und Tochter zu verabschieden?«
»Natürlich«, sagte Galway und deutete auf die Wendeltreppe, die in den ersten Stock führte. »Das
war der zweite Grund, weshalb ich Sie nicht einfach aus dem Bett gezerrt habe.«
Judas musterte für einen Moment Galways Gesicht.
Vielleicht fragte er sich, ob es wirklich möglich war, dass eine loyalitätskonditionierte
Marionette der Ryqril und der Kollaborationsregierung ein Gewissen hatte.
Galway hatte sich oft die gleiche Frage gestellt und fragte sich nun, zu welchem Schluss Judas
gelangen würde. »Vielen Dank«, sagte der andere und erhob sich. »Ich brauche eine
Viertelstunde.«
Er war schon nach zwölf Minuten reisefertig zurück. »Ich habe mir gar nicht erst die Mühe
gemacht, etwas einzupacken«, sagte er, als Galway ihn in die kalte Morgenluft expedierte. »Ich
nehme nicht an, dass ich meine persönlichen Gegenstände hätte behalten dürfen.«
»Ganz recht«, sagte Galway. Taakh hatte inzwischen zu Weissmann am Ende des Gartenwegs
aufgeschlossen, und Judas hielt kurz inne, als er das große Alien erblickte. Aber er fing sich
schnell wieder und ging weiter. Die beiden Sicherheitskräfte zu beiden Seiten der Tür folgten
ihnen. Sie hielten ihre Pfeilwaffen noch immer im Anschlag.
»Gibt's Probleme?«, fragte Weissmann, als die Gruppe ihn erreichte.
»Nein«, sagte Galway. »Sobald wir weg sind, können Sie die Sperre aufheben...«
Ohne
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