Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
Andere, die im Laufe der Jahre in mehr als nur einer Weise den weiblichen Angehörigen ihrer Gemeinde gedient hatten, waren erleichtert, ihre Verhältnisse legalisieren zu können. Zudem stieß diese Veränderung unter den Laien auf breite Unterstützung. Die meisten hatten ohnehin nie richtig verstanden, warum man ein so großes Getue um diese Frage machte. Der heilige Petrus war verheiratet gewesen, und Christus hatte ihn nie von diesem Märtyrertum erlöst.
Die nächste Ankündigung des Papstes lautete, dass sich alle Priester möglichst schlicht zu kleiden hätten – um die äußere Armut zum Ausdruck zu bringen, die sie vor Gott gelobt hatten, und um sich mit den Armen zu identifizieren. Für manch einen war dieser Erlass schwerer zu verdauen als die Aufhebung des Zölibats. Frauen waren ein freiwilliges Extra, aber gut auszusehen vor dem Volk – also, das war doch der Grund, weshalb man überhaupt in die Kirche eingetreten war! Wenn man Gott nicht gekleidet wie ein Weihnachtsmann entgegentreten konnte, was hatte das alles denn noch für einen Sinn? Die Ankündigung rief deshalb lautstarke Kritik hervor. Dennoch forderte kein ranghoher Kleriker den Papst offen heraus. Nicht jetzt. Erst musste klar sein, dass man irgendwie großzügig bedacht wurde – mit einem Ruheposten bei den Vereinten Nationen, einer Diözese in Paris, der Leitung eines vatikanischen Amtes. Wie süß der Ehrgeiz, diese Frucht des bösen Baums der Erkenntnis, schmeckte! Satan hatte schon gewusst, wovon er sprach.
Was die außerkirchliche Welt betraf, so hieß sie diese Veränderungen willkommen. Endlich war ein Papst bereit, Entscheidungen zu treffen. Nach Jahrzehnten des Stillstands – einer Art religiösem Blutklumpen, der das Herz der Kirche verstopft hatte – war hier ein Mann, der die Dinge vereinfachte. Schließlich litten die meisten Päpste unter Reisefieber, und zwar zu einer Zeit, als die Kirche zusehends zerfiel. Doch es lief ähnlich wie in vielen großen Unternehmen. Der Vorstandschef versuchte immer im Flieger zu sitzen, wenn sich eine Katastrophe ereignete. Am besten, man war unerreichbar – saß in der ersten Klasse mit einem großen Glas Gin-Tonic in der Hand, um die Nerven zu beruhigen, wenn die Zeitungen auf der Titelseite das jüngste geschäftliche Desaster verkündeten. Verantwortung? Die Schuld auf sich nehmen? Ich bitte Sie! Das war etwas für die unteren Chargen, niemals für
el capo di tutti
.
Diese historisch bedeutsamen Ereignisse beschäftigten die Medien und den Klerus mehrere Wochen lang. In dieser Zeit der intensiven öffentlichen Debatten hielt der Papst ein geheimes Treffen ab. Ein Treffen, von dem die meisten Kardinäle nichts wussten – denn es fand an einem Ort im Vatikan statt, der all die Jahrhunderte fast verborgen geblieben war.
* * *
Der Präfekt des Vatikanischen Geheimarchivs, Pater Gabriele, betrat den Lesesaal und hustete. Er war, erwartungsgemäß, Italiener. Außerdem war er grauhaarig und rundlich, trug eine Brille und einen dicken Vollbart, hinter dem er seine Angst vor der Welt dort draußen verbergen konnte. Pater Gabriele liebte Bücher; sie waren sein Leben. Die Welt, die er betrachtete – die, die er liebte –, stieg aus den Pergamentseiten uralter Handschriften empor. Die Bücher verströmten etwas, eine intime Nähe, die er niemals gegen die Liebkosung eines Menschen eingetauscht hätte. Denn sie bewahrten die Erinnerungen an die Vergangenheit auf, sie waren der Faden, der das Leben des Präfekten mit all jenen verband, die inzwischen längst tot waren. Zudem bargen die Bücher Geheimnisse – die Geheimnisse einer Zeit und einer Welt, die zwar untergegangen war, deren verblichene Spuren jedoch noch immer in den schwer entzifferbaren Schriften eines Autors auffindbar waren.
Wenn
er doch nur – während der Lektüre dieser Texte – in die Wirklichkeit eintauchen könnte, die diese Texte aufzeichneten! Was für eine Freude ihm das bereiten würde! Ein Buch aufzuschlagen und auf diese Weise zu den darin erwähnten Orten zurückzukehren. Zu sehen, wie die Menschen einst gelebt haben, ihre Reisen nachzuverfolgen, Zeuge ihrer alltäglichen Kämpfe und ihrer Arbeit zu werden. Es war nur ein Traum, aber das Leben war, wie der Präfekt sich oft in Erinnerung rief, ja auch kaum mehr als ein Traum. Der Mensch existierte einzig in den Träumen anderer; er selbst hatte kein wirkliches Leben. Und wenn diese Träumenden erwachten, dann starb der Mensch. Aber wer waren diese
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