Die Juedin von Toledo
Theaterstück.
Ich las Lopes Drama. Gewiß ist es theatralisch, es ist sichtlich in wenigen Tagen hingeschmissen und höchst unbedenklich. Da dem Dichter der Stoff, den er in seiner Vorlage, einer alten Chronik, fand, für die drei Akte eines Stückes nicht zu genügen schien, füllte er damit nur seine beiden letzten Akte und verwandte für seinen ersten Akt aus der gleichen Chronik ein paar Kapitel, die dort der Geschichte der Jüdin unmittelbar vorausgehen, doch nichts mit ihr zu tun haben. Da aber Lope ein passionierter und überaus geschickter Theatermann ist, überträgt sich die Freude, die er an den Effekten seines Theaters hat, auf den Leser und Zuschauer, seine Sorglosigkeit tut der Wirksamkeit seines Stückes kaum Eintrag. Seine »Judía de Toledo« ist ein überaus kräftiges, farbiges, wild patriotisches Theaterstück geworden, und ich verstehe sehr gut, was Grillparzer daran anzog.
Ja, der Stoff fesselte mich, wie er Lope und Grillparzer gefesselt hat.
Ich las Lopes Quelle. Es ist das jene Chronik, aus der ich einige Zeilen jedem Teil meines Romans als Motto vorgesetzt habe. Geschrieben ist diese Chronik von einem anderen Alfonso von Kastilien, dem Zehnten dieses Namens, einem Urenkel unseres Alfonso, der sieben Jahre nach dessen Tod geboren wurde. Er erzählt von der Liebschaft seines Urgroßvaters und der Jüdin mit sichtlicher Anteilnahme. Wie überhaupt diese Liebesgeschichte von Beginn an und durch die Jahrhunderte hindurch die Phantasie der Spanier beschäftigt hat. Es wurden um sie bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts hinein immer neue Balladen, Romanzen, Vers-Epen, Romane, Novellen und Stücke geschrieben. Selbst in der arabischen Literatur spielt die Geschichte eine Rolle, die Romantiker vieler Zeiten und vieler Länder haben sie erzählt, ein jeder auf seine Weise.
Soweit ich es überblicken kann, hat indes von diesen vielen Fassungen keine sich um die Geschichte des Landes gekümmert, in dem die Ereignisse spielen. Dabei ist aber das Schicksal der Liebenden eng verknüpft mit dem ihres Landes, und jeeingehender sich der Betrachter mit den Zuständen jenes Spaniens befaßt, einen um so tieferen Sinn gewinnt ihm die Geschichte von Esther-Raquel und dem König.
Die alten spanischen Chroniken und Balladen, die als erste von Alfonso und der Jüdin berichten, glauben naiv und bedingungslos an die Heiligkeit des Krieges. Sie halfen mir, jene ritterliche Zivilisation zu verstehen, die mit all ihrer überfeinerten Courtoisie noch tief im Barbarischen steckt, die innere Landschaft jener kastilischen Barone, ihre glaubenswütige, todessüchtige Tapferkeit, ihren grenzenlosen Stolz, der ohne Skrupel die wunderbaren Städte und Länder zerstört, welche die anderen geschaffen haben. Nur wer die hinreißende Anziehungskraft dieses Abenteurertums spürt, kann, scheint mir, die Geschichte von Raquel und dem König ganz verstehen.
Ich wollte dieses sinnlose Heldentum nicht etwa erklären, ich wollte seinen Glanz und Zauber lebendig machen, ohne doch sein Verderbliches zu verstecken. Sichtbar machen wollte ich, wie die Magie dieses Kriegertums sogar jene anzieht, die seine Verderblichkeit durchschauen. Raquel spürt, wie unheilvoll sich Alfonsos Tollkühnheit auswirken muß – und liebt ihn. Was sie, die Wissende, an dem unheilvollen Manne lockt, sollte zum Sinnbild werden aller Verführung, die von dem Kriegerischen, dem Abenteuerlichen ausstrahlt und zuweilen auch den Erkennenden blendet.
Dem Ritter entgegenstellen wollte ich den Mann des Friedens. Der freilich wird nicht gefeiert in den Chroniken und Balladen der Zeit, aber vorhanden ist er. Schattenhaft am Rande der Chroniken lebt er, deutlicher in Dokumenten, Privilegien und Gesetzen, am klarsten in Büchern der Gelehrten und Philosophen. Da sind die Bürger und Bauern, die Bewohner der aufkommenden Städte, die danach trachten, dem wilden Wesen der Ritter und Barone Ordnung und Gesetz entgegenzustellen. Da sind die Juden, die schon deshalb ihr Bestes tun, den Frieden zu wahren, weil sie die ersten sein werden, die zwischen den Kriegführenden umkommen. Undda sind vor allem die Denkenden, Geistliche und Laien, jene Rodrigue, Musa, Benjamín, die mit Wort und Tat dem Kriege wehren. Männer, die der gerüsteten Tapferkeit der Ritter nichts entgegenzusetzen haben als den stillen Mut ihres Geistes. Aber ist das nicht viel?
Zwei Pfeiler sind es, pflegt man zu sagen, auf denen unsere Zivilisation steht: das humanistische Bildungsideal der Griechen
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