Die Juedin von Toledo
und Römer und der jüdisch-christliche Moralkodex der Bibel. Mir scheint, es lebt in unserer Zivilisation ein drittes Erbe fort: die Ehrfurcht vor dem Heldentum, dem Rittertum. Das liebevoll ehrfürchtige Bild des christlichen Ritters, wie das Mittelalter es malte, ist noch keineswegs verblaßt. Noch immer gilt als der höchste Ruhm die Glorie des Helden, des Kriegers. Der große Dichter Cervantes hat mit zärtlicher Sorgfalt gestaltet, was an dem Ritter lächerlich ist. Die Welt lachte: überzeugen ließ sie sich nicht. Ein Stück Don Quichotte war wohl von Anfang an in jedem Ritter; doch die Welt wollte und will das nicht sehen, sie will noch immer nicht den Narren sehen, der in dem Ritter steckt, sie will nur seinen Glanz sehen; sie schaut noch immer zu dem Ritter auf und überhäuft ihn mit Ehren.
Weil also das hinreißende Rittertum des Mittelalters noch immer unheilvoll lebendig ist, deshalb geht, glaube ich, die Geschichte von Alfonso und Raquel auch uns an. Die Theoretiker jenes Jahrhunderts erörterten, ob es erlaubt sei, einem Feind, der vielleicht angreifen könnte, durch Angriff zuvorzukommen; sie erörterten, ob es schimpflich sei, den Frieden mit hohen Opfern zu bezahlen. Ich wollte versuchen, Menschen wiederzubeleben, die sich mit solchen Gedanken herumschlugen. Ich sagte mir, wer die Geschichte dieser Menschen neu erzählt, schreibt nicht nur Historie, er gibt Problemen unserer Zeit Licht und Sinn.
L. F.
Zu diesem Band
Es sei »ganz Spanien darin«, hatte Thomas Mann 1951 nach der Lektüre des Goya-Romans geschrieben. Und es war die feste Absicht Feuchtwangers, dieses »düster glänzende Riesengemälde« (ebenfalls Thomas Mann) mit einem zweiten Band fortzusetzen. Der Plan wurde nie realisiert. Der Schauplatz des übernächsten Romans war zwar wiederum Spanien, die Zeit aber nicht das achtzehnte, sondern das zwölfte Jahrhundert. Im »Goya« wird der historische Vorfall episodenhaft bereits erwähnt: Pepa, die Geliebte Don Manuels, singt die Romanze vom König Alfonso, der sich in Toledo in die Jüdin Raquel verliebt und sieben Jahre mit ihr verlebt, »seine Königin, die englische Leonora, allein lassend. Dann aber empören sich die Granden und schlagen die Jüdin tot.«
Einer der ersten, der von Feuchtwangers neuem Romanprojekt erfuhr, war Arnold Zweig: »Ich habe mich an eine ›Jüdin von Toledo‹ gemacht, und ich will darstellen das Wesen des Feudalismus, das tief anziehende, anti-rationalistische und verderbliche, wie es ja heute noch fortwirkt«, schrieb er am 20. Juli 1953. Zu dieser Zeit hatte das Werk schon Form und Umfang angenommen, denn ein paar Monate später weiß Zweig »von einer alten Verehrerin«, daß Feuchtwanger im Freundeskreis daraus vorgelesen hat.
Am 1. Februar 1954 berichtete Feuchtwanger auch von der Stoffindung, auf die er später ausführlich in seinem Nachwort eingeht: daß er sich seit Jahren mit einem Esther-Roman »herumgeschlagen« habe, daß das Buch »im Grunde … schon fertig« gewesen sei, daß er aber wegen der Passivität der Hauptfigur, der biblischen Esther, schließlich darauf verzichtet habe, es zu beenden. (Im Nachwort reduziert er allerdingsdas Stadium des Manuskripts auf den »Grundriß eines zukünftigen Buches«.) »Jetzt bin ich sehr froh, daß ich bei der Arbeit am ›Goya‹ wieder auf Lopes ›Jüdin von Toledo‹ stieß. Von da ging ich zurück auf die Chroniken, und dann ergab der Stoff genau das, was ich hinter dem Material der Esther gesucht hatte.«
Da Arnold Zweig der historische Vorfall wenig vertraut war und er weder Lope de Vegas Theaterstück »Las paces de los reyes y Judía de Toledo« (1616) noch Franz Grillparzers Tragödie von 1848 »Die Jüdin von Toledo« auftreiben konnte, erläuterte ihm Feuchtwanger am 15. März 1954 die inhaltlich-thematische Absicht seines Romans: »Mich interessiert die Ablösung des feudal Kriegerischen durch den aufkommenden bürgerlichen Humanismus, der seltsamen Kämpfe zwischen dem überzivilisierten spanischen Islam und dem rohen und eleganten christlichen Rittertum und den Juden in der Mitte, der Heilige Krieg, der Kreuzzug und die Judenverfolgungen, Geschehnisse, die so seltsam ineinandergreifen. Der innere Sinn ist die Darstellung der ungeheuern Anziehungskraft des Krieges, der sich nicht einmal die Gegner ganz verschließen können. Darstellen will ich also, welch ungeheure Widerstände der Kampf um den Frieden überkommen muß. Das Schicksal meines jüdischen Ministers Jehuda Ibn Esra
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