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Die Juedin von Toledo

Die Juedin von Toledo

Titel: Die Juedin von Toledo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Täler, die sich breiten, wie Gärten mit vielen Wassern, wie Aloebäume, von Jahve gepflanzt, wie Zedern am Ufer des Flusses. Du frißt die Völker, die Heiden, deine Feinde, du zermalmst die Gebeine deiner Verfolger.«
    Jehuda las die Verse in dem vorgeschriebenen uralten Singsang, er las nicht ohne Mühe, sein Akzent mochte dem oder jenem fremdartig klingen, ja, ein wenig lächerlich. Aber keinen lächerte es. Vielmehr hörten sie, die jüdischen Männer und Frauen von Toledo, voll Verehrung zu, und die Ergriffenheit Don Jehudas erhob auch sie. Dieser Mann, den das Schicksal in früher Jugend zum Meschummad gemacht hatte, war freiwillig, war demütig in den Bund Abrahams zurückgekehrt und wird, dieser Mächtige, mithelfen, daß die Segnungen, von denen er las, sich auch an ihnen erfüllten.
    Nun sich Raquel offen zu ihrem Judentum bekennen durfte, fiel es ihr schwerer, sich als Jüdin zu fühlen, denn vorher. Sie las oft in dem Großen Buch, sie träumte stundenlang versunken und leidenschaftlich von den Geschichten, die darin standen, von den Taten der Väter und Könige und Propheten. Das Gewaltige, Erhabene, Tieffromme, das da berichtet wurde, und auch das Schwache, Kleine, Tiefböse, das nichtunterschlagen war, alles wurde ihr leibhaft, und sie war stolz und glücklich, von solchen Ureltern abzustammen.
    Allein mit den Juden, die sie hier in Toledo lebendig umgaben, fühlte sie wenig Verbundenheit, wiewohl sie doch festen, ehrlichen Willens war, zu ihnen zu gehören.
    Oft, um ihr Volk besser kennenzulernen, ging sie in die Judenstadt, die Judería.
    Auf diesen Gängen ließ sie sich von Don Benjamín Bar Abba begleiten, einem jungen Verwandten des Gemeindevorstands. Der Domherr Rodrigue hatte Benjamín im Castillo Ibn Esra eingeführt; er war einer seiner Gelehrtenschüler, ein Übersetzer aus seiner Akademie.
    Don Benjamín war mit all seinem geschärften Verstand und seinem gründlichen Wissen kaum dreiundzwanzig Jahre alt, er hatte etwas Knabenhaftes, Schalkhaftes, Spitzbübisches, das Raquel anzog. Bald war zwischen ihnen gute Kameradschaft. Sie lachten gerne über Dinge, deren Spaßhaftigkeit ein anderer kaum verstanden hätte, und es gab mancherlei, worum Doña Raquel den Vater nicht und nicht einmal Onkel Musa befragte, wohl aber ihren Freund Benjamín.
    Er seinesteils erzählte ihr unbefangen von seinen eigensten Dingen. Etwa, daß ihm sein Verwandter, Don Ephraim, der Párnas, nicht gefalle; er sei ihm zu listig, und wenn er selber nicht so arm wäre, hielte er’s in Don Ephraims Hause nicht aus. Doña Raquel hatte noch nie einen Freund gehabt, der arm war. Sie musterte ihn erstaunt und neugierig.
    Benjamín übte die jüdischen Bräuche, doch nur, um Don Ephraim nicht zu mißfallen, er legte kein Gewicht auf sie. Wohl aber bewunderte er arabische Weisheit, und er sprach gerne von den großen alten, verschollenen Völkern, besonders von den Griechen, Joniern, wie er sie nannte; einen dieser Jonier, einen gewissen Aristoteles, stellte er Unserm Lehrer Mose geradezu gleich. Bei alledem war er stolz darauf, zu den Juden zu gehören; denn sie waren das Volk des Buches und hatten das Buch treu durch die Jahrtausende bewahrt.
    Dieser Benjamín war Raquels Führer in der Judería. Mehrals zwanzigtausend Juden lebten in Toledo, und nochmals fünftausend außerhalb der Mauern, und wiewohl durch kein Gesetz gezwungen, wohnten die meisten in ihrem eigenen Stadtviertel, das wiederum durch Mauern und befestigte Tore beschützt war.
    Die Juden saßen, erzählte Benjamín, seit urdenklichen Zeiten in Toledo; ja, die Stadt leitete ihren Namen her von dem hebräischen Worte Toledot, Geschlechterfolge. Die ersten waren hierhergekommen als Abgesandte des Königs Salomo, um von den Barbaren Tribut zu erheben. Die meiste Zeit ging es ihnen gut. Aber unter den christlichen Westgoten hatten sie wüste Verfolgungen zu erleiden. Am grimmigsten verfolgte sie einer ihres eigenen Stammes, ein gewisser Julian, der zu den Christen überlief und von diesen zum Erzbischof gemacht wurde. Immer schärfere Vorschriften erließ er gegen seine früheren Brüder, und zuletzt erwirkte er ein Gesetz, dem zufolge, wer nicht zum Christentum übertrat, in die Sklaverei verkauft werden sollte. Da riefen denn die Juden die Araber übers Meer und halfen ihnen, das Land zu erobern. Die Araber legten jüdische Garnisonen in die Städte und gaben ihnen jüdische Kommandanten. »Stell dir vor, Doña Raquel«, forderte Benjamín sie auf, »wie das

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